Predigt von Nuntius Eterovic am 15. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 12. Juli 2020

(Weish 12,13.16-19; Ps 86; Röm 8,26-27; Mt 13,24-43)

„Der den guten Samen sät, ist der Menschensohn“ (Mt 13,37).

Liebe Schwestern und Brüder!

Die drei Gleichnisse, die wir gehört haben, beschreiben die Hoffnung und die Geduld. Ihr Fundament findet sich in Gott, der nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er sich bekehrt und lebt (vgl. Ez 33,11). Mit den Gleichnissen vom Senfkorn und dem Sauerteig wird die Hoffnung beschrieben (I), während die Geduld Gottes am Gleichnis vom Weizen und dem Unkraut aufgezeigt wird (II). Das Wort Gottes ist äußerst aktuell und betrifft uns sehr.

1. Die christliche Hoffnung

Jesus Christus vergleicht das Senfkorn mit dem Reich Gottes. „Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten“ (Mt 13,32). Das Reich Gottes ist schon mit der Kirche angebrochen, die der Herr Jesus gegründet hat. Sie hatte ihre ersten, einfachen Wurzeln im Heiligen Land, doch sie hat sich sodann entwickelt und wurde zu einem großen Baum, der sich über die ganze Welt ausdehnt. Das Samenkorn enthielt in sich eine Dynamik mit großem Wachstumspotential und war daher imstande, in Fülle Frucht zu bringen. Dies erfüllt das Herz des Gläubigen mit großer Freude. Darin erscheint das Motiv der Hoffnung auch in den schwierigen Momenten, wo es scheint, daß in einigen Teilen der Welt, wie zum Beispiel in Europa, die Kirche an Kraft und Bedeutung verliert. Das Samenkorn aber bleibt und mit ihm das große Potential. Es wartet auf günstige Bedingungen, um zu wachsen und Frucht zu bringen. Diese Bedingungen hängen auch von uns ab. Die Gläubigen dürfen der Entwicklung des Reiches Gottes durch ihr schlechtes Verhalten nicht im Wege stehen, wenn sich ihr Leben im Gegensatz zur Botschaft des Evangeliums befindet und aufgrund von Skandalen immer weiter davon abdriftet. Der Herr fordert von uns einen authentischen christlichen Lebensstil, wenn er daran erinnert, daß wir gerufen sind, Licht der Welt zu sein (vgl. Mt 5,14), damit unser Licht vor den Menschen leuchtet und sie unsere guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen (vgl. Mt 5,16).

Auch das Gleichnis vom Sauerteig ermutigt uns zur Hoffnung. Er wird zum Mehl hinzugegeben, und verwandelt es auf diese Weise „bis das Ganze durchsäuert war“ (Mt 13,33). Das Reich Gottes erhebt und verwandelt die Welt. Der Sauerteig des Evangeliums ist seit zweittausend Jahren mitten unter der Masse von Welt. Es ist nicht untätig geblieben. Wir können aufmerksam seine Zeichen auch in unserer säkularisierten Welt verfolgen. So haben die Menschenrechte beispielsweise ihre Wurzeln im Evangelium. Die Würde der menschlichen Person, wenigstens theoretisch einstimmig angenommen, hat ihre Wurzel im kreativen Akt Gottes am Beginn der Heilsgeschichte. „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“ (Gen 1,27). Auch die Nächstenliebe: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mk 12,31), ist in die Herzen der Menschen ausgegossen, wie wir erst kürzlich in der Zeit der Corona-Pandemie erfahren konnten. Viele Menschen, auch solche, die sich nicht offen als praktizierende Gläubige zu erkennen geben, handelten wie wahre Christen und setzten ihr eigenes Leben ein, um dem Nächsten, der krank war, zu helfen.

2. Die Geduld Gottes

Der Sinn des Gleichnisses vom Weizen und dem Unkraut wird von Jesus selbst aufgezeigt: „Der den guten Samen sät, ist der Menschensohn; der Acker ist die Welt; der gute Samen, das sind die Kinder des Reiches; das Unkraut sind die Kinder des Bösen; der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte ist das Ende der Welt; die Schnitter sind die Engel. Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch bei dem Ende der Welt sein“ (Mt 12,37-40). Der Herr legt den Akzent auf das Endgericht, wenn seine Engel „aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gesetzloses getan haben, und werden sie in den Feuerofen werfen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!“ (Mt 13,41-43). Diese Erzählung setzt voraus, daß Weizen und Unkraut zugleich auf einem Acker wachsen. Zu Beginn des Wachstums vermischt sich das Unkraut mit dem Weizen. Dann aber wird der Unterschied deutlich, und man ist versucht, das Unkraut auszureißen, doch kann man damit zugleich auch dem Weizen schaden. Aus diesem Grund untersagt Jesus den Jüngern, das Unkraut auszureißen, „damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt. Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune“ (Mt 13,29-30).

Das gleichzeitige Wachsen von Weizen und Unkraut ist für uns zeitgenössische Menschen ein Problem. Oft fragen wir, warum es das Böse in der Welt gibt? Zuweilen scheint es, das Böse überwiegt, und seine Helfer kommen ungestraft davon. Wenn es nach uns geht, müsste das Böse sofort ausgemerzt und der Schuldige bestraft werden. Gott aber verfolgt eine andere Logik. Er lässt zu, daß beide Samen, der gute und der böse, zusammen wachsen. Gott zeigt große Geduld mit dem Menschen und seiner Freiheit und gibt dem Sünder Raum, auf daß er sich bekehrt und auf den rechten Weg zurückkehrt. Der Jüngste Gericht wird es am Ende der Geschichte geben. Bis dahin gibt es die Zeiten der Erprobung und der Geduld. Diese Wahrheit über Gott wird schon im Alten Testament erwähnt, wie wir im Buch der Weisheit lesen können: „Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Schonung; denn die Macht steht dir zur Verfügung, wann immer du willst“ (Weish 12,18). JHWH will den Sünder nicht sofort bestrafen, sondern schenkt im genügend Zeit zur Umkehr: „Durch solches Handeln hast du dein Volk gelehrt, dass der Gerechte menschenfreundlich sein muss, und hast deinen Söhnen und Töchtern die Hoffnung geschenkt, dass du den Sündern die Umkehr gewährst“ (Weish 12,19).

Die dem Herrn treue Kirche versteht diese Lehre und sucht sie auf das Leben der Menschen anzuwenden. Sie ist zum Beispiel gegen die Todesstrafe auch bei denen, die sich schrecklicher Verbrechen schuldig gemacht haben. Die menschliche Rechtsprechung ist unvollkommen, was die Fälle jener zeigen, die sich als unschuldig erwiesen, nachdem sie zum Tode verurteilt worden waren. Heute haben die Staaten andere Mittel zur Verfügung, um Gewaltverbrecher auszuschalten und zu verhindern, daß sie in der Gesellschaft Schaden anrichten. Im Gefängnis haben diese Menschen darüber hinaus Zeit zum Nachdenken und zur Reue über die begangenen Straftaten. Es gibt unter diesen Personen nicht wenige, die sich ehrlich bekehrt haben. Kürzlich gedachte die Kirche der heiligen Jungfrau und Märtyrerin Maria Goretti. Ihr Mörder, Alessandro Serenelli, hat sich während seiner Zeit im Gefängnis bekehrt und nahm sogar an ihrer Heiligsprechung durch Papst Pius XII. am 24. Juni 1950 teil.

Liebe Brüder und Schwestern, danken wir dem dreieinen Gott für seine Milde und Geduld mit uns Menschen. Sagen wir Ihm Dank für die Zeit, die er uns schenkt, damit wir als Menschen und Glieder der kirchlichen Gemeinschaft umkehren. Zugleich sind wir für die Hoffnung dankbar, die Er in unsere Herzen eingießt, eine Hoffnung, die dazu bestimmt ist, wie ein Senfkorn zu wachsen und uns wie ein Sauerteigt zu verwandeln. Diese Hoffnung bereitet uns, das Letzte Gericht des Herrn Jesus am Ende der Zeit vertrauensvoll zu erwarten. Der Herr sät den Weizen und will, daß er in Fülle gute Frucht bringt. Im Glauben mit allen Heiligen vereint, vor allem mit der seligen Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche, hoffen wir vom Herrn Jesus, Ihrem Sohn und Gott, das Wort der Hoffnung zu hören: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn“ (Mt 25,23). Amen.

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