Predigt von Nuntius Eterovic am 2. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 17. Januar 2021

(1 Sam 3,3-10.19; Ps 40; 1 Kor 6,13-15.17-20; Joh 1,35-42)

„Seht, das Lamm Gottes“ (Joh 1,36).

Liebe Schwestern und Brüder,

zu Beginn der Zeit im Jahreskreis ruft uns das Wort Gottes zwei Abschnitte der Heiligen Schrift in Erinnerung, die sich auf die Berufung des Samuel (I) und die der ersten Jünger Jesu (II) beziehen. Auf diese Weise werden auch wir aufgefordert, unsere Berufung zur Nachfolge Jesu zu bedenken (III). Öffnen wir unsere Herzen dem Heiligen Geist, damit wir verstehen, was Gott uns an diesem zweiten Sonntag im Jahreskreis mitteilen möchte.

1. „Rede, denn dein Diener hört“ (1 Sam 3,10).

Dieser Satz stellt einen wichtigen Augenblick in der Berufungsgeschichte des Samuels durch die Stimme von JHWH dar, die er im Schlaf hörte. Es gibt aber zwei wichtige Voraussetzungen für die Begegnung des jungen Samuel mit dem Herrn. An erster Stelle ist zu nennen, dass Samuel eine religiöse Erziehung in der Familie erhielt, und zweitens seine weitere religiöse Prägung im Tempel des Herrn erfuhr. Denn seine Mutter Anna vertraute ihn als Junge dem Priester Eli an, damit er seinen Dienst im Tempel des Herrn tat (vgl. 1 Sam 1,24-28). Es war eigentlich der Priester Eli, der verstanden hatte, dass JHWH den jungen Samuel rief, denn dieser „kannte den HERRN noch nicht und das Wort des HERRN war ihm noch nicht offenbart worden“ (1 Sam 3,7). Deswegen wies er Samuel an, wenn sich die Stimme nochmals vernehmen ließe, soll er antworten: „Rede, Herr; denn dein Diener hört“ (1 Sam 3,9). Mit diesen Worten begegnete Samuel dem Herrn und hatte seinen ersten persönlichen Kontakt mit Ihm. Samuel achtete sorgfältig auf die göttliche Botschaft, die er empfing, und seine Beziehung zu JHWH verlieh ihm große Autorität. „Samuel wuchs heran und der HERR war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten zu Boden fallen“ (1 Sam 3,19).

2. „Seht, das Lamm Gottes“ (Joh 1,36).

Im heutigen Abschnitt aus dem Johannesevangelium wird die Berufung der ersten Jünger beschrieben: Johannes, den Autor des Evangeliums, und Andreas. Auch sie waren fromme Juden und in ihren Familien religiös erzogen. Doch auch sie hatten eine geistliche Hilfe von außen nötig, um den Messias und ihre Berufung zu entdecken. Ihnen galten die Worte von Johannes dem Täufer, der Jesus vorbeigehen sah und seine Augen auf ihn richtete und sagte: „Seht, das Lamm Gottes“. Mit seinem Zeugnis lenkte der Vorläufer die Aufmerksamkeit seiner beiden Jünger auf Jesus. Und so machten sich die zwei auf und folgten ihm. Jesus bemerkte sie und fragt beiläufig: „Was sucht ihr?“, worauf die beiden antworteten: „Rabbi – das heißt übersetzt: Meister -, wo wohnst du?“ (Joh 1,38). Die Entgegnung Jesu ist sehr viel wesentlicher, wenn er sagt: „Kommt und seht“ (Joh 1,39). Die Erfahrung der Nähe zu Jesus war entscheidend für die Berufung der zwei zum Kreis der Apostel. Johannes, ein direkter Zeuge der Begegnung mit Jesus, versichert: „Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde“ (Joh 1,39). Dies war eine so prägende Erfahrung, die Andreas nicht für sich behalten konnte. Er musste sie mit seinem Bruder Simon teilen, indem er ihm nicht nur berichtete: „Wir haben den Messias gefunden – das heißt übersetzt: Christus“ (Joh 1,41), sondern ihn sogleich zu Jesus führte (Joh 1,42). Die Reaktion Jesu auf Simon ist sehr aufschlussreich. Während Simon, der Bruder des Andreas, schweigt, richtet Jesus seinen Blick auf ihn und sagt: „Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen, das bedeutet: Petrus, Fels“ (Joh 1,42). Wenn in der Bibel der Name einer Person geändert wird, wird damit angezeigt, dass jemand Besitz von ihr genommen hat, die das Leben in eine neue Richtung lenkt. Schon bei ihrer ersten Begegnung wusste Jesus, dass Simon Petrus eine ganz besondere Mission innerhalb der zwölf Apostel und in der Kirche haben wird.

3. „Kommt und seht“ (Joh 1,39).

Jesus ruft alle Christen zur Nachfolge und zu Gliedern seiner Kirche. Dabei handelt es sich nicht um einen abstrakten Ruf, sondern um eine konkrete Berufung, die sich auf die persönliche und gemeinschaftliche Erfahrung gründet. Wie er Johannes und Andreas eingeladen hat, einen Tag mit ihm zu verbringen, so lädt er auch heute Männer und Frauen dazu ein, ihm nachzufolgen, nachdem sie ihre religiösen Erfahrungen im Schoß der eigenen Familie oder der Gemeinde von Gläubigen einer Pfarrei oder einer christlichen Gemeinschaft gemacht haben. Jesus ruft alle, ihm zu folgen in der Verschiedenheit der Dienst, der Charismen, die es allesamt zum Aufbau der Kirche braucht, seines mystischen Leibes, dessen Haupt Er ist (vgl. Kol 1,18). Allen gilt seine Aufforderung zur Heiligkeit: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48).

Inmitten des Volkes Gottes aber ruft Jesus einige in besonderer Weise zum kirchlichen Dienst. Wie er einst Andreas, Johannes und Simon Petrus berufen hatte, so ruft er auch heute junge Menschen zum priesterlichen Dienst. Dies geschieht nicht mehr durch eine Stimme wie bei Samuel während des Schlafs, sondern als ausdrückliche Aufforderung des Herrn Jesus. Er selbst in Person hat die zwölf Apostel berufen. Er hatte Mitleid mit der Menge von Leuten, die ihm folgte, „denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben“. Also sagte er den Jüngern: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Mt 9,36-38).
Die Kirche bittet auch heute den Herrn um Priesterberufungen. Auch heute brauchen jene, die berufen sind, die Unterstützung der christlichen Familien und sodann die Hilfe guter Erzieher, die sie auf den Weg zur Begegnung mit Jesus Christus führen, dem ewigen Hohepriester (vgl. Hebr 7,26). Er gibt die Fälle konvertierter Menschen, die als Jugendliche keine christliche Erziehung genossen haben. Doch auch sie haben die Hilfe von anderen Gläubigen nötig, die auf diese Weise so etwas wie deren Adoptivfamilien werden. Bei der Führung junger Menschen zum Priesterberuf haben die Rektoren der Seminare, die Spirituale, die Professoren und andere Menschen in der Ausbildung eine wichtige Funktion.

Um Priester Jesu Christi zu werden, ist unverzichtbar, wie Andreas und Johannes zu wissen, wo der Meister wohnt und entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Der Herr Jesus wohnt immer in seinem Wort. Daher müssen die Priesterkandidaten es gut kennen. Der Herr ist in allen Menschen gegenwärtig, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen sind (vgl. Gen 1,26-27), insbesondere in den Kleinsten und Hilfsbedürftigen, in den Armen und denen, die wie ein Auswurf aus den wohlhabenden Gesellschaftsschichten ausgegrenzt werden. Besonders gegenwärtig aber ist der Herr in seinen Sakramenten, vor allem in der Eucharistie.

Liebe Brüder und Schwestern, in dieser Heiligen Messe beten wir um die Berufung für alle Christen und vor allem auch für jene, die der Herr Jesus zum priesterlichen Dienst beruft. Vertrauen wir unser Gebet der machtvollen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Priester, auf dass viele junge Menschen großherzig dem Ruf Jesu Christi folgen und sie während des langen und nicht immer einfachen Wegs zum Priestertum die Unterstützung der Familien und kirchlichen Gemeinden erhalten. Sie mögen den Menschen unserer Welt die Schönheit der personalen Begegnung mit dem Herrn Jesus verkünden, denn Er ist „das Lamm Gottes“ auch für die Menschen dieser Zeit. Amen.

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