Predigt von Nuntius Eterovic am 33. Sonntag im Jahreskreis

Berlin, 17. November 2019

(Mal 3,19-20; Ps 98; 2 Thess 3,7-12; Lk 21,5-19)

„Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19).

Liebe Schwestern und Brüder!

An diesem vorletzten Sonntag im Jahreskreis treibt uns das Wort Gottes an, über das Gericht Gottes nachzudenken, das am Ende der Geschichte der Menschheit kommen wird (I). Gleichzeitig lädt uns der Heilige Vater Franziskus ein zur Teilnahme am 3. Welttag der Armen (II). An diesen beiden Themen wollen wir unsere Meditation ausrichten und den Heiligen Geist bitten, uns zu erleuchten, damit wir die Botschaft der Heiligen Schrift in rechter Weise erfassen.

1. Das Gericht Gottes

Die Schönheit des Tempels in Jerusalem bietet Jesus die Gelegenheit, seine Zerstörung anzukündigen. Von diesem imposanten Bauwerk wird „kein Stein auf dem andern bleiben, der nicht niedergerissen wird“ (Lk 21,6). Dieses Bild hilft dem Herrn, von der Endzeit zu sprechen, vom Gericht Gottes. Schon der Prophet Maleachi, der im 5. Jahrhundert vor Christus lebte, hatte „den brennenden Tag“ (Mal 3,19) verheißen, den Tag von JHWH, der unterschiedliche Wirkungen auf die gerechten Menschen und jene, die böse sind, haben wird. „Da werden alle Überheblichen und alle Frevler zu Spreu und der Tag, der kommt, wird sie verbrennen, spricht der HERR der Heerscharen. Weder Wurzel noch Zweig wird ihnen dann bleiben“ (Mal 3,19). Den Gerechten aber wird am Tag von JHWH „die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen“ (Mal 3.20). „Der Tag des Feuers“ weist auf das Gericht hin, während „die Sonne der Gerechtigkeit“ das Heil bedeutet.

Der Herr Jesus fügt sich in diese Vision des Gottesgerichtes über Menschen und Welt ein. Mit endzeitlichen Worten kündigt er das Auftreten falscher Propheten, von Kriegen, Revolutionen, Erdbeben, Hungernöten und Seuchen an, von schrecklichen Dingen und großen Zeichen am Himmel. Jesus Christus betont insbesondere die Verfolgungen seiner Jünger, der Christen. Seine Worte aber ermutigen zum Vertrauen und zur Hoffnung, auch inmitten dieser dunklen Momente eines persönlichen Lebens und das der ganzen Menschheit. Angesichts der falschen Propheten warnt der Herr: „Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt!“ (Lk 21,8). Er ermuntert uns sodann: „Lasst euch nicht erschrecken!“ (Lk 21,9), auch wenn Kriege und Revolutionen überwältigen. Jesus sieht auch einen positiven Effekt in den Christenverfolgungen, wenn er spricht: „Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können“ (Lk 21,13). Mit Blick auf die Anklagen vor Gericht mahnt er uns: „Nehmt euch also zu Herzen, nicht schon im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können“ (Lk 21,14-15). Aus dem Kontext des Evangeliums könnte man schließen, daß diese siegreiche Sprache das Glaubenszeugnis der verfolgten Christen ist. Denn der Herr Jesus beendet seine Redet, indem er versichert: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19).

2. Der Welttag der Armen

Aus Anlass des 3. Welttags der Armen hat der Heilige Vater Franziskus eine Botschaft unter dem Thema geschrieben: Der Elenden Hoffnung ist nicht für immer verloren (Ps 9,19). Sie ist nicht nur an die Christen gerichtet, sondern an alle Menschen guten Willens, die für dieses schwere und aktuelle Problem in unserer Welt sensibel sind. Tatsächlich erfahren wir eine Zunahme der Situation im Allgemeinen, wo eine immer kleiner werdende Zahl von Reichen enorme Güter besitzen, während eine immer stärker wachsende Zahl von Menschen in Armut lebt. Es gibt außerdem eine Zunahme von neuen Formen der Armut in unserer Welt, neue Arten von Sklaverei, welche Papst Franziskus beim Namen nennt: „Täglich begegnen wir Familien, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, um anderswo ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; Waisenkindern, die ihre Eltern verloren haben oder zum Zweck brutaler Ausbeutung gewaltsam von ihnen getrennt wurden; jungen Menschen auf der Suche nach beruflicher Erfüllung, denen aufgrund kurzsichtiger Wirtschaftspolitik der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt wird; Opfer vieler Arten von Verletzungen, von der Prostitution bis zur Drogenabhängigkeit, die im Innersten gedemütigt werden. Wie können wir außerdem die Millionen von Migranten vergessen, die Opfer so vieler verborgener Interessen sind, die oft für politische Zwecke instrumentalisiert werden und denen Solidarität und Gleichbehandlung verweigert werden? Und ebenso die vielen Obdachlosen und Außenseiter, die durch die Straßen unserer Städte ziehen?“ (2).

Bei dieser kurzen Überlegung weisen wir darauf hin, daß in der Botschaft des Heiligen Vaters der Arme jener ist, „der ‚auf den Herrn vertraut‘ (vgl. Ps 9,11), weil er sich sicher ist, dass er nie verlassen wird. Der Arme ist für die Heilige Schrift ein Mensch, der Vertrauen hat! Der heilige Autor nennt auch den Grund für dieses Vertrauen: Er „kennt seinen Herrn“ (vgl. ebd.), und in der Sprache der Bibel bezeichnet dieses ‚erkennen‘ eine persönliche Beziehung in Zuneigung und Liebe“ (3). Andererseits bleibt Gott dem Schrei der Armen nicht gleichgültig gegenüber. „Die Beschreibung von Gottes Handeln zugunsten der Armen kehrt in der Heiligen Schrift ständig wieder. Er ist der, der ‚zuhört‘, ‚eingreift‘, ‚schützt‘, ‚verteidigt‘, ‚loskauft‘, ‚rettet‘... Kurz gesagt, ein armer Mensch wird nicht erleben, dass Gott seinem Gebet gegenüber gleichgültig oder stumm bleibt. Gott ist derjenige, der Gerechtigkeit übt und nicht vergisst (vgl. Ps 40,18; 70,6); nein, er ist dem Armen eine Zuflucht und er säumt nicht, ihm zur Hilfe zu kommen (vgl. Ps 10,14)“ (4).

Den Armen galt in besonderer Weise die Aufmerksamkeit Jesu. Sie nehmen den ersten Platz in der Bergpredigt ein, das heißt in den Seligpreisungen, welche die Magna Carta des Evangeliums sind. Der Heilige Vater fragt: „Wie könnten wir nicht darauf hinweisen, dass die Seligpreisungen, mit denen Jesus die Verkündigung des Reiches Gottes einleitete, mit folgendem Ausruf eröffnet werden: »Selig, ihr Armen« (Lk 6,20)? Der Sinn dieser paradoxen Ankündigung ist, dass das Reich Gottes gerade den Armen gehört, weil sie in der Lage sind, es zu empfangen“ (5). Diese Seligpreisung ist sehr aktuell, vor allem deswegen, weil die Zahl der Armen wächst anstatt sich zu verringern: "Jahrhunderte vergehen, und diese Seligpreisung aus dem Evangelium erscheint immer paradoxer; die Armen sind immer ärmer, und das gilt heute noch verstärkt. Doch Jesus, der begonnen hat sein Königreich zu errichten, und der dabei die Armen in den Mittelpunkt gestellt hat, möchte uns genau das sagen: Er hat es begonnen, uns, seinen Jüngern, aber die Aufgabe anvertraut, es weiterzuführen mit der Verantwortung, den Armen Hoffnung zu geben. Es ist notwendig, gerade in einer Zeit wie der unseren, die Hoffnung wiederzubeleben und das Vertrauen wiederherzustellen. Es ist ein Programm, das die christliche Gemeinschaft nicht unterschätzen darf. Die Glaubwürdigkeit unserer Verkündigung und des christlichen Zeugnisses hängt davon ab“ (5).

Es genügt nicht, den Armen mit materiellen Gütern zu helfen; sie haben auch unsere Freundschaft und Liebe nötig. Deswegen schreibt der Heilige Vater: „Natürlich kommen die Armen auch deshalb zu uns, weil wir Essen an sie verteilen, aber was sie wirklich brauchen, geht über die warme Mahlzeit oder das Sandwich hinaus, das wir ihnen anbieten. Die Armen brauchen unsere Hände, damit sie aufgerichtet werden, unsere Herzen, damit sie von neuem die Wärme der Zuneigung spüren, und unsere Gegenwart, um die Einsamkeit zu überwinden. Sie brauchen Liebe, ganz einfach“ (8). Es braucht nicht die großen Dinge, um den Armen zu helfen: „Manchmal reicht schon wenig, um die Hoffnung zurückzugeben: Es reicht, stehenzubleiben, zu lächeln, zuzuhören“ (9).

Am Ende dieser Überlegungen können wir zusammenfassen, daß diese beiden Themen miteinander verknüpft sind. Denn das Gericht Gottes wird nach dem Gebot der Liebe zum Nächsten gehalten, vor allem zu den Armen, mit denen sich Jesus identifiziert hat, denn er stellt fest: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40 – vgl. Nr. 5).

Vertrauen wir unsere Meditation der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche und Mutter der Armen, auf daß sich in jedem Christen das Wort des Herrn Jesus erfüllt: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19). Maria war auch die erste Jüngerin Jesu Christi. Das hilft uns allen, durch Beispiel und Gebet, überzeugte Jünger Jesu Christi zu werden, die ihr eigenes Leben dem Lobe Gottes, des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes, weihen und der Liebe zum Nächsten, vor allem zu denen, die unserer materiellen und geistlichen Hilfe am meisten bedürfen. Amen.

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