Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Fastensonntag

Apostolische Nuntiatur, 26. März 2023

(Ez 37,12b-14; Ps 130; Röm 8,8-11; Joh 11,1-45)

Passionssonntag

„Lazarus, komm heraus“ (Joh 11,43).

Liebe Brüder und Schwestern!

An diesem fünften Fastensonntag legt uns die Kirche die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus vor, eines der zentralen Themen zur Vorbereitung auf das Hohe Osterfest. Dieser vertrauten Geschichte aus dem Johannesevangelium wollen wir uns mit Blick auf Maria (I), Marta (II) und Jesus (III) nähern, um zu entdecken, was Gott uns Christen in diesen turbulenten Zeiten von Kirche und Welt mittels des Heiligen Geistes zeigen will. Wir erinnern besonders, dass Jesus mit Lazarus und seinen beiden Schwestern Maria und Marta sehr befreundet gewesen war. So vermerkt der Evangelist: „Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus“ (Joh 11,5).

1. „Maria aber blieb im Haus sitzen“ (Joh 11,20).

Beginnen wir unsere Betrachtung mit der Haltung von Maria. Während Marta dem sich Betanien nahenden Jesus entgegengeht, blieb Maria im Haus, um die Juden zu empfangen, die kamen, um die beiden Schwestern wegen des Todes ihres Bruders Lazarus zu trösten. Nachdem Marta Jesus getroffen hatte, überbrachte sie Maria die Mitteilung Jesu. Sie tat dies auf diskrete Weise, möglicherweise um nicht die Aufmerksamkeit der versammelten Menschen auf sich zu ziehen, und mit eindringlichen  Worten: „Der Meister ist da und lässt dich rufen“ (Joh 11,28). Die Reaktion von Maria ist unmittelbar, denn „sie stand sofort auf und ging zu ihm“ (Joh 11,29). Aus diesen Worten erfassen wir, dass Jesus nicht allein ein Freund der Familie war, sondern vielmehr der geachtete Meister, auf den sie hörten. Der Evangelist erinnert besonders an die Beziehung zwischen Jesus und Maria, eine in sich gekehrte Person, die sehr aufmerksam die Lehre des Meisters vernahm: „Maria war jene, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte“ (Joh 11,2). Deswegen reagiert Maria sofort auf den Ruf Jesu und fand ihn am von Marta angegebenen Ort. Ihre Begegnung ist bewegend: „Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen“ (Joh 11,32). Dies ist eine respekt- und vertrauensvolle Geste, die keiner weiteren Erklärung bedarf. Maria aber fügt noch einige Worte hinzu, um ihrer tiefen Überzeugung Ausdruck zu verleihen: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Joh 11,32). Sie wusste, dass Jesus viele Kranke geheilt hatte, und war überzeugt, er hätte dies auch für Lazarus getan. Maria war sehr bewegt und begann zu weinen. Auch jene, die sie begleiteten brachen in Tränen aus. Und auch Jesus selbst war tief bewegt und weinte (vgl. Joh 11,35).

Liebe Brüder und Schwestern, die Reaktion von Maria, wie auch der übrigen Personen, die versammelt waren, ist sehr menschlich und ist allen gemeinsam. Der Tod ist eine radikale Trennung, der Bruch eines Menschen mit den Seinen und mit der Welt, was tiefen Schmerz verursacht und im Weinen Ausdruck findet. Wir alle haben eine solche Erfahrung gemacht. Tröstlich aber ist, dass Jesus diese menschlichen Gefühle teilt, Anteil nimmt am Schmerz über den Tod des Lazarus und dass auch er zu Tränen gerührt ist. Diese Haltung ist für uns Grund des Trostes, denn wir sind im Angesicht des Todes nicht allein, uns bleibt auch in diesen Momenten tiefer Verlassenheit der Herr Jesus, der Mensch und Gott. Als Mensch tröstet er uns, als Gott verheißt er die Freude der Auferstehung und das ewige Leben.

2. „Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen“ (Joh 11,20).

Im Gegensatz zu Maria war Marta extrovertiert und wollte Jesus treffen, bevor er noch in Betanien eintraf. Ihr Gespräch mit Jesus ist sehr wichtig und bereitet Leser und Hörer des Evangeliums auf das große Wunder der Auferweckung des Lazarus vor. Wie schon Maria, wendet sich auch Marta mit Worten unerfüllten Vertrauens an Jesus: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Joh 11,21). Im Unterschied zu Maria aber fügt sie hinzu: „Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben“ (Joh 11,22). Marta drückt ihr Vertrauen zu Jesus aus, der allein in diesen Momenten tiefer Trauer trösten kann. Auf die Worte Jesu hin: „Dein Bruder wird auferstehen“ bekennt Maria ihren Glauben an die Auferstehung der Toten am Ende der Welt, der von vielen Juden geteilt wird, wenn sie sagt: „Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag“ (Joh 11,24). In diesem Augenblick aber spricht Jesus bisher ungehörte Worte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25-26). Auf die Frage des Herrn: „Glaubest du das?“ antwortet Marta: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll“ (Joh 11,27).

Liebe Schwestern und Brüder, im Gespräch bereitet Jesus Maria auf die Wahrheit vor: Er ist „die Auferstehung und das Leben“. Der Glaube an die Auferstehung der Toten am Ende der Zeiten genügt nicht. Pädagogisch lässt Jesus Maria und uns alle erkennen, wie wichtig es ist, an Ihn zu glauben. Jene, die an Ihn glauben, werden niemals sterben, auch wenn ihre leiblich-zeitliche Existenz vergehen wird, bleiben sie dennoch auf ewig. Offen für den Heiligen Geist wollen auch wir den lebendigen Glauben an den Herr Jesus erneuern, welcher der Christus ist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist, um uns zu retten.

3. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25).

Im heutigen Evangelium dominieren die Person und das Werk Jesu Christi. Es werden seine menschlichen Gefühle eindrücklich beschrieben, wie auch seine göttliche Einheit mit dem Vater zum Ausdruck gebracht wird. Die Schwestern des Lazarus, Maria und Marta, ließen Jesus die Nachricht übermitteln: „Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank“ (Joh 11,3), womit sie diskret darum baten, zu ihnen zu kommen und ihn zu heilen. Doch Jesus blieb zwei weitere Tage an jenem Ort, wo er war, und sagte: „Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes“ (Joh 11,4). In seiner innigen Beziehung zu Gott hatte Jesus verstanden, dass der Vater nicht wollte, dass er sogleich nach Betanien eilte, um Lazarus zu heilen, was sicher seine eher spontane Reaktion gewesen wäre. Der Vater hingegen wollte einen sehr klaren und starken Sieg nicht nur über die Krankheit, sondern über den Tod. Das wird mit den Worten Jesu unterstrichen, die er zu den Zwölf sagte, bevor er nach Judäa aufbrach: „Lazarus ist gestorben“; und fügt sogleich hinzu: „Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt“ (Joh 11,14-15). Auch die Reaktion Martas auf die Weisung Jesus, den Stein vom Grab wegzunehmen: „Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag“ (Joh 11,39) unterstreicht die Wirklichkeit des Todes von Lazarus. Jesus aber weiß, dass der Vater will, dass er ein Wunder vollbringt, und deshalb preist er Ihn, bevor er es vollbringt: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast“. Dann ruft er laut: „Lazarus, komm heraus“ (Joh 11,44).

Liebe Brüder und Schwestern, das Wunder der Auferweckung des Lazarus ist mit dem Glauben verbunden. Glaube ist die Bedingung des Wunders, wie Jesus zu Maria sagt: „Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen“ (Joh 11,40). Das Wunder wiederum hat den Glauben zum Zweck. Denn der Evangelist vermerkt: „Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn“ (Joh 11,45).

Liebe Schwestern und Brüder, öffnen wir unsere Herzen der Gnade des Heiligen Geistes, um an den Herrn Jesus, den Menschen und Gott zu glauben. Er ist der einzige, der versichern kann, er sei die Auferstehung und das Leben. Indem wir die Bedeutung des Todes und der Auferweckung des Lazarus bedenken, bereiten wir uns darauf vor, Jesus auf dem Weg des österlichen Geheimnisses zu folgen, was wir in besonderer Weise in der Karwoche tun wollen, die mit dem kommenden Sonntag beginnt. Daher vertrauen wir unsere Überlegungen der mächtigen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Schmerzen, damit wir alle Jesus auf dem Kreuzweg folgen, seinen Tod beweinen und uns über seine Auferstehung freuen können. Amen.  

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