Predigt von Nuntius Eterović am 5. Ostersonntag

(Apg 9,26-31; Ps 22; 1 Joh 3,18-24; Joh 15,1-8)

Berlin, 29. April 2018

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5).

 

Liebe Brüder und Schwestern!

In der Bibel finden wir oft die Bilder vom Weinstock und vom Weinberg. Sie stammen aus der Alltagswelt des Volkes in Israel und dem Mittelmeerraum. Die Juden kennen das Alte Testament, wo von den Propheten wie Jesaja, Jeremia und Ezechiel das Weinbergthema aufgegriffen worden war. So wird beispielsweise im Weinberglied des Propheten Jesaja präzisiert, „denn der Weinberg des HERRN der Heerscharen ist das Haus Israel und die Männer von Juda sind die Pflanzung seiner Lust“ (Jes 5,7). Auch in den Psalmen kommt dieser Begriff oft vor. Zum Beispiel: „Einen Weinstock hobst du aus in Ägypten, du hast Völker vertrieben und ihn eingepflanzt. Du schufst ihm weiten Raum, er hat Wurzeln geschlagen und das ganze Land erfüllt“ (Ps 80,9-10).

Auch Jesus Christus verwendet diese Bilder, gibt ihnen aber eine besondere Bedeutung. Offen für die Gnade des Heiligen Geistes wollen wir das in den Lesungen aufgreifen, die uns die Kirche an diesem fünften Ostersonntag vorlegt. Jesus ist der Weinstock und sein Vater ist der Winzer (I). Wir sind die Reben, eingepflanzt in Jesus, welcher der Weinstock ist (II). Er erwartet von uns reiche Frucht (III).

1. „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer“(Joh 15,1).

Auch im Stück des Evangeliums des Heiligen Johannes wird die tiefe Einheit Jesu mit Gottvater hervorgehoben. Sein ganzes Leben ist von dieser kindlich vertrauensvollen Beziehung gekennzeichnet. Jesus ist nämlich nicht gekommen, um seinen Willen zu tun, sondern dessen, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 6,38). Und der Wille des Vaters ist das Heil der Menschen. So spricht Jesus: „Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Jüngsten Tag. Denn das ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, das ewige Leben hat und dass ich ihn auferwecke am Jüngsten Tag“ (Joh 6,39-40).
Nachdem er die tiefe Beziehung zwischen Ihm und dem Vater aufgezeigt hatte, führt Jesus aus, wie der Vater an seinen Jünger handelt: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,2). Der Vater verfolgt eine doppelte Absicht: das Entfernen der vertrockneten Rebzweige und das Beschneiden der fruchtbaren Triebe, damit sie mehr Frucht bringen. Dieselbe Tätigkeit gibt es auch im Alltag eines jeden Winzers. Diese reguläre Arbeit eines Winzers bekommt für uns Christen einen symbolischen, geistlichen Wert.

Leider müssen wir feststellen, daß es getaufte Personen gibt, die sich im Verlauf des Lebens von der Kirche und auch von Jesus Christus entfernen. Wenn sie in dieser Situation verharren, könnte auf sie das Bild von den vertrockneten Reben zutreffen, die der Winzer abschneidet und von den lebendigen Trieben des Weinstocks entfernt. Für alle gilt sodann das zweite Bild: Der Winzer reinigt jeden gesunden Trieb, damit er mehr Frucht bringt. In diesem Ausdruck können wir die Prüfungen sehen, denen die Christen, jeder von uns, im Laufe des Lebens ausgesetzt sind. Das Zeugnis der Heiligen führt uns vor Augen, daß auch sie viele Prüfungen zu bestehen hatten, kleine und große, um im Glauben zu reifen und reiche geistliche Früchte zu bringen. Erflehen wir vom guten und barmherzigen Gott die Gnade, die uns im Leben auferlegten Prüfungen zu bestehen, damit wir uns mit seiner Gnade verwandeln und reiche Früchte zu unserem und zum Wohl der Kirche bringen können.

2. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5).

Christ sein, das heißt vereint mit Jesus Christus. Schon der Name Christ leitet sich von Christus ab, das heißt Messias, der Gesalbte Gottes. Diese Wirklichkeit zeigt sich sehr gut in der Beziehung zwischen Weinstock und Reiben. Jesus Christus ist der Weinstock und wir, seine Jünger, sind die Reben. Um Frucht zu bringen und fruchtbar zu leben, ist es nötig, mit Ihm, dem Weinstock, vereint zu bleiben: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Eine vom Weinstock getrennte Rebe vertrocknet, wird eingesammelt und dient nur noch dazu, im Feuer verbrannt zu werden.

Im kurzen Stück des Evangeliums erwähnt Jesus Christus zweimal die Wichtigkeit des Wortes, das er an seine Jünger gerichtet hat. Sie müssen mit Ihm nicht nur als Reben am Weinstock vereint bleiben, sondern auch in der Annahme seiner Worte, die einen doppelten Effekt haben: sie reinigen die Jünger: „Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe“ (Joh 15,3) und machen das Gebet machtvoll: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten“ (Joh 15,7). An anderer Stelle verheißt der Herr: „Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde im Sohn“ (Joh 14,13). Offenbar lehrt uns Jesus wie und um was wir beten sollen. Das christliche Gebet kann nicht in Widerspruch mit seiner Lehre von der Liebe zu Gott und dem Nächsten geraten. Das wirksamste Gebet ist das mit den Worten Jesu formulierte Beten, das wir in unseren Herzen bewahren, zum Beispiel das Vaterunser. Dieses Gebet wird wirksam, wenn es in der Einheit mit dem Gebet ist, das Jesus an Gott, seinen und unseren Vater richtet. Das Gebet schlechthin ist die Eucharistie, jene Gnadenhandlung, in der Jesus die endgültige Opfergabe an den Vater ist (vgl. Hebr 10,1-10). Mit diesem Hochgebet des Christus, des „obersten Hohepriesters“ (Heb 4,14), vereinen wir unsere Bitten für uns, für die Kirche und für die Welt, auf daß sie erhört werden.

3. Reiche Frucht bringen.

Das heutige Evangelium endet mit dem sehr wichtigen Ausspruch: „Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet“ (Joh 15,8). Drei Dinge gehören zusammen: den Vater verherrlichen, Jünger Jesu werden und Frucht bringen. Um Jünger Jesu zu werden, muss man in Ihm bleiben, gleichsam den Lebenssaft teilen, so wie es beim Weinstock und den Reben geschieht. Diese lebendige Verbindung ist unverzichtbar, um zur rechten Zeit Frucht zu bringen und so Gott den Vater zu verherrlichen. Der Heilige Johannes wiederholt dasselbe in der zweiten Lesung, wenn er die Christen ermuntert: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“ (1 Joh 3,18). Er unterstreicht den doppelten Aspekt des Gebotes Gottes: „Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben gemäß dem Gebot, das er uns gegeben hat“ (1 Joh 3,23). Der Glaube ist Ausdruck unserer tiefen Einheit mit dem Herrn Jesus. Sie kann es ohne die Gabe des Heiligen Geistes nicht geben. Hier sagt der Heilige Johannes klar: „Daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1 Joh 3,24). Das Leben des Geistes zeigt sich regelmäßig im sakramentalen Leben, so auch jetzt, wenn wir die Eucharistie feiern. Danken wir Gott dem Vater, Sohn und Heiligem Geist für die tröstliche Wahrheit, daß Jesus der Weinstock ist und wir die Reben. Ebenso danken wir dem dreieinen Gott für das Geschenk des Glaubens, der sich in Werken der Liebe ausdrückt.

Vertrauen wir unsere Überlegungen der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, Jesu und unsere Mutter. Sie, die „voll der Gnade“ (vgl. Lk 1,28) ist, möge uns zu einem christlichen Leben führen, das reiche Frucht in Glaube, Hoffnung und Liebe bringt. Amen.

 

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