Predigt von Nuntius Eterovic am 7. Sonntag im Jahreskreis

Berlin, 23. Februar 2020

(Lev 19,1-2.17-18; Ps 103; 1 Kor 3,6-23; Mt 5,38-48)

„Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“(Mt 5,44).

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Wort Gottes führt uns zum Zentrum der Bergpredigt. Der Herr Jesus lehrt seine Jünger, wie sie sich verhalten müssen, um würdig zu sein, Kinder Gottes genannt zu werden. Jesus bringt die Vorschriften des Alten Testamentes über die Liebe zum Nächsten zur Erfüllung (I). In diese Liebe schließt er die Feinde ein (II) und zeigt uns, wie wir diese Lehre in die Tat umsetzen sollen (III).

1. „Seid heilig, denn ich, der HERR, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2).

Es handelt sich um eine grundlegende Wahrheit des erwählten Volkes, die im Buch Levitikus verzeichnet ist. JHWH ist heilig, weil er Gott ist: die Heiligkeit ist eine seiner wesentlichen Merkmale. Aber diese Wahrheit ist ebenfalls für den Menschen bedeutsam, für jedes Glied Israels, insofern sie für jeden notwendig ist. Denn JHWH, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (vgl. Ex 3,6) ist heilig, und die Glieder seines Volkes müssen ebenfalls heilig werden. Hervorzuheben ist, daß die erste Lesung mit der Ermahnung beginnt, heilig zu werden, weil der Herr, unser Gott, heilig ist. Und der Abschnitt endet: „Ich bin der Herr“ (Lev 19,18). Dieser ist nicht nur ewig, allmächtig, der Allerhöchste und der Lebendige, sondern vor allem der Heilige. Im Abschnitt aus dem Buch Levitikus, den wir gehört haben, sind die Bedingungen einer solchen Haltung aufgeführt. Um heilig zu werden, darf man „keinen Hass gegen den (deinen) Bruder“ (Lev 19,17) und keinen Groll ihm gegenüber im Herzen haben. Wenn du etwas gegen ihn hast, so tadele ihn offen, ohne Sünde auf dich zu laden (vgl. Lev 19,17). Räche dich nicht (vgl. Lev 19,18), sondern im Gegenteil: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18). Der Nächste aber ist in der Regel ein Mitglied des erwählten jüdischen Volkes.

2. „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48).

Der Ermahnung zur Heiligkeit, weil der Herr, unser Gott, heilig ist, korrespondiert die Aufforderung Jesu: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48). Eine der einzuübenden Haltungen, um dem Ideal der Vollkommenheit näher zu kommen, ist daher die Feindesliebe. Der Herr Jesus ist hier sehr klar. Er setzt den Kontrapunkt zur überkommenen Verhaltensweise: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet“ (Mt 5,43-45). Der Christ hat sich zu den Menschen, seien sie gut oder böse, so zu verhalten, wie Gott, „denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45). Es genügt also nicht, nur die zu lieben, die uns lieben. Das tun nach Jesus auch die Zöllner, die als Sünder angesehen wurden, weil sie die Steuern für die römische Besatzungsmacht eintrieben und davon profitierten. Es ist ebenfalls nicht genug, nur die zu grüßen, die uns grüßen, was auch die Heiden tun. Von den Christen ist mehr verlangt: sie sollen sich wie der himmlische Vater verhalten und danach trachten, heilig und vollkommen zu sein.
3. Gott führt uns dazu, die Feinde zu lieben.

Der Herr Jesus hilft uns zu verstehen, wie wir dieses hohe Ideal erreichen können, das unsere menschliche Kraft übersteigt. Ohne seine Unterstützung und sein Beispiel, wie auch ohne die Gnade des Heiligen Geistes können wir die Feinde nicht lieben. An erster Stelle ist geboten, für die Verfolger zu beten, für die Feinde, die uns demütigen oder gar nach dem Leben trachten. Er selbst hat uns ein Beispiel gegeben, als er vor seinem Tod am Kreuz für seine Verfolger gebetet hat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). Diesem Beispiel folgte auch der Erzmärtyrer Stephanus, der für seine Feinde betete, bevor er starb: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an“ (Apg 7,60). Für jeden Diener Gottes, der offiziell von Seiten der Kirche zu den Märtyrern gerechnet wird, gilt, daß er sterbend seinen Feinden vergeben und für deren Bekehrung gebetet hat.

Der Herr Jesus lehrt uns sodann, das Gesetz der Vergeltung zu überwinden: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ mit der entwaffnenden Haltung: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (Mt 5,39). Mit der gleichen Logik fährt Jesus fort: Wenn einer von dir dein Hemd will, so lass ihm auch den Mantel, wenn einer dich nötigt, eine Meile mit dir zu gehen, so gehe zwei mit ihm (vgl. Mt 5,40-41). Um diesen Stand zu erreichen, bereit zu sein, auch die Feinde zu lieben, empfiehlt Jesus Christus die Haltung der Großherzigkeit: „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab“ (Mt 5,42).

Der Heilige Paulus hat diese Haltung des Herrn Jesus, die für das Verhalten des Christen charakteristisch sein muss, einprägsam formuliert: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute“ (Röm 12,21). Danken wir dem dreieinen Gott, denn diese Maxime kann sich im Leben der Christen und auch in der heutigen Gesellschaft verwirklichen. Wir haben schon an das Beispiel der Märtyrer erinnert, welche die Krone der himmlischen Herrlichkeit erreichten, weil sie ihren Feinden vergeben haben. Es gibt aber auch ganz normale Menschen, welche die Gnade haben, ihren Feinden in den dramatischen Situationen von Krieg oder in den täglichen Erlebnissen der Gewalt vergeben. Das Zeugnis von Eltern, die den Mördern ihrer Liebsten vergeben, ist sehr bewegend. Sie haben mit Hilfe des Glaubens und der Gnade des Heiligen Geistes vergeben können. Auf diese Weise haben sie ihr Herz von einer enormen Last an Hass und Vergeltung befreit und überlassen es dem Gericht Gottes und, wenn möglich, der irdischen Gerichtsbarkeit. In der Vergebung haben sie den tiefen Sinn des Christlichen im Leben wiedergewonnen.

Die Vergebung als Form der Feindesliebe aber hat nicht nur eine personale Dimension. Sie kann sich auch auf gemeinschaftlicher Ebene und zwischen Völkern verfeindeter Nationen zeigen, die vorher in gewalttätige Kriege verwickelt waren, verbunden mit dem eigentümlichen Hass auf die feindlichen Nationen. Erinnern wir uns an das Beispiel der polnischen und deutschen Bischöfe nach dem 2. Weltkrieg, der zahllose Menschleben kostete und verheerende Zerstörung brachte. Sie wurden vom Evangelium inspiriert und fanden Kraft im christlichen Glauben, Vergebung zu gewähren und um Vergebung zu bitten. Dies geschah mit der großartigen Formel der polnischen Bischöfe: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Der Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen Mitbrüder vom 18. November 1965, der überschrieben ist mit: Botschaft der polnischen Bischöfe an die deutschen Brüder im Hirtendienst Christi, wurde zwei Wochen später am 5. Dezember 1965 von den deutschen Bischöfen mit der Formel beantwortet: Gruß der deutschen Bischöfe an die polnischen Brüder im Bischofsamt und die Antwort auf das Schreiben vom 18. November 1965. Diese Haltung von Vergebung und Versöhnung setzt die Feindesliebe voraus und ist nicht nur für die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen grundlegend, sondern auch zwischen anderen Völkern, die Mitglied der Europäischen Union sind. Es genügt an die Aussöhnung zwischen Franzosen und Deutschen zu erinnern. Hierbei hat der christliche Glaube eine sehr wichtige Rolle gespielt, zumal die verantwortlich handelnden Politiker in diesem Aussöhnungsprozess Christen, Katholiken waren.

Liebe Brüder und Schwestern, das Gebot Jesu: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5,44) ist immer wieder aktuell in unserer Welt, die voller Kriege und Gewalt ist. Die Christen sind aufgerufen, die Wahrheit zu verkünden, daß alle Menschen Brüder und Schwestern sind und in Gott einen Vater haben, der alle liebt und daher will, daß seine Söhne und Töchter in Frieden leben, den Hass überwinden, der Vergeltung, der Gewalt, dem Krieg entsagen und so das Böse mit dem Guten besiegen. Beten wir, daß Gott uns diese Gnade gewähre, nicht zuletzt auf die Fürsprache so vieler Märtyrer und Heiliger, insbesondere der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria, der Königin des Friedens. Amen.

Zurück