Predigt von Nuntius Eterovic am 9. Sonntag im Jahreskreis zum Abschluss der 138. Cartellversammlung
St. Paulus zu Berlin, 2. Juni 2024
(Dtn 5,12-15; Psalm 81; 2 Kor 4,6-11; Mk 2,23-3,6)
„Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort Gottes an diesem neunten Sonntag im Jahreskreis zeigt uns den Herrn Jesus, wie er an einem Sabbat mit seinen Jüngern unterwegs ist. Das Unterwegssein ist ein Charakteristikum des öffentlichen Wirkens Jesu (I), der als einziger authentisch von sich sagen kann, er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Für die Kirche und uns Christen hat dies zur Konsequenz, dass auch wir aufbrechen und nach den Worten von Papst Franziskus eine „Kirche im Aufbruch“ (II) sein sollen (Enzyklika Evangelii gaudium, Nr. 49). Letztlich ist die Begegnung mit Jesus Christus das Ziel unserer Pilgerschaft (III).
Wir wollen unsere Herzen öffnen, um zu einem besseren Verständnis der Person und der Lehre Jesu Christi zu gelangen und diese in unserem persönlichen, familiären und im Verbindungsleben umzusetzen. Dazu sind wir hier zu dieser festlichen Eucharistiefeier zusammengekommen. Aus allen Teilen Deutschlands habt Ihr Euch auf den Weg nach Berlin zur 138. Cartellversammlung 2024 gemacht. Gerne bin ich der Einladung gefolgt, dieser Heiligen Messe vorzustehen, und danke hierfür dem Vorsitzenden im CV-Rat und des Altherrenbundes, Herrn Dr. Claus-Michael Lommer, und dem Vorortspräsidium mit Herrn Thomas Wöstmann an der Spitze. Als Vertreter des Heiligen Vaters Franziskus in der Bundesrepublik Deutschland überbringe ich Euch die herzlichen Grüße des Bischofs von Rom und Hirten der Universalkirche. Jede einzelne Eurer Verbindungen und jedes Mitglied Eures Cartellverbandes möge sich bewusst sein, dass uns mit der Person des Papstes das Symbol und der Garant der Einheit der Katholischen Kirche gegeben ist, mit dem wir uns im Gebet und in Treue verbinden wollen. Als Zeichen der Einheit mit dem Nachfolger des heiligen Petrus erteile ich mit Freude am Ende der Heiligen Messe den Apostolischen Segen, Euch, die Ihr hier in St. Paulus anwesend seid, aber auch allen an den Fernsehbildschirmen und insbesondere Euren alten und kranken Cartellbrüdern.
1. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6).
Jesus der Weg ist immer unterwegs zu den Menschen in Galiläa, Judäa und Samarien (vgl. Mk 9,30 u.ö.). Wir sehen ihn auf dem Weg nach Jerusalem, wo ihn Leiden und Tod erwarten. Und auch nach seiner Auferstehung ist er mit zwei seiner Jüngern nach Emmaus unterwegs (vgl. Lk 24,15-34) oder geht ihnen nach Galiläa voraus (vgl. Mt 26,32). Der Herr Jesus wandert durch das Heilige Land und lehrt die Menschen gleichsam auf dem Weg: „Auf seinem Weg nach Jerusalem zog er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und lehrte“ (Lk 13,22).
Im heutigen Abschnitt aus dem Markusevangelium belehrt Jesus die Pharisäer, die peinlich genau darauf achten, ob der Meister etwas tut, was nach dem Gesetz am Sabbat nicht erlaubt ist. Der Herr Jesus lässt sich nicht auf kleinliche Diskussionen ein, sondern stellt als Maxime fest, mit der das Gesetz und auch das dritte der göttlichen Gebot im Dekalog von der Heiligung des Sabbats mit Leben erfüllt wird: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27). Der tiefere Sinn des Sabbat ist nicht eine äußere Ruhe, sondern die Ruhe, die der Mensch allein in Gott finden kann. Das Sabbatgebot gilt für alle Menschen und für alle sozialen Schichten (vgl. Dtn 5,14). Es ist kein Privileg für wenige, sondern ein Gebot für alle Menschen, damit gilt, was der Psalmist sagt: „Komm wieder zur Ruhe, meine Seele, denn der Herr hat dir Gutes erwiesen“ (Ps 116,7). Und Jesus zeigt uns, wie Er am Sabbat Gutes tut. Die Pharisäer warten nur darauf, um ihn anklagen zu können. Sie haben kein Verständnis für das Gute, das mit dem eingeborenen Sohn des Vaters in die Welt gekommen ist, „aber die Welt erkannte ihn nicht“ (Joh 1,10). Die Frage des Herrn Jesus ist deswegen nicht einfach rhetorisch, sondern er entlarvt ihre boshafte Verstocktheit, was durch ihr Schweigen bewiesen wird: „Was ist am Sabbat erlaubt - Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten?“ (Mk 3,4). Für den Mann mit der verdorrten Hand wird Jesus an diesem Sabbat zum Heiland, welcher „der Weg, die Wahrheit und das Leben ist“ (Joh 14,6).
In den einzelnen Verbindungen des verehrten Cartellverbandes sollte man sich die Zeit nehmen, in Ruhe auf Christus zu schauen und die Liebe zu ihm erneuern, wozu der alte Hymnus „Christus, göttlicher Herr“ hilfreich sein kann, um zu prüfen, wohin jeder der Brüder unterwegs ist:
„Christus, göttlicher Herr,
dich liebt, wer nur Kraft hat zu lieben:
unbewusst, wer dich nicht kennt;
sehnsuchtsvoll, wer um dich weiß“
(nach Alphanus von Salerno, + 1085).
2. „Damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird“ (2 Kor 4,11).
Das öffentliche Wirken Jesu ist Bewegung, weswegen die Kirche „vorwärtsgeht“, wie es der Heilige Vater Franziskus immer wieder betont und sagt: „So hat Jesus uns, seine Jünger, darauf hingewiesen, dass unsere Sendung in der Welt nicht statisch sein darf, sondern auf dem Weg sein muss. Der Christ ist ein Wanderer. Die Kirche ist von Natur aus in Bewegung, sie ist nicht sesshaft und bleibt in aller Ruh im eigenen eng begrenzten Bereich“ (Papst Franziskus, Angelus, 30. Juni 2019). Wir können die zweite Lesung des heutigen Sonntags so verstehen, dass auch unsere schwachen menschlichen Kräfte gefordert sind, unser sterbliches Fleisch vom Leben Jesu gezeichnet sein darf. Und das Leben Jesu geht durch Leiden und Kreuz zum Sieg über Sünde und Tod. Daher muss jeder Christ bestrebt sein, „Zeuge der Auferstehung“ zu sein und vom Ostergeheimnis durchdrungen zu werden, um das Evangelium den Nahen und den Fernen durch ein christliches Leben zu verkünden. Papst Franziskus lehrt unmissverständlich: „Die Dringlichkeit, das Evangelium zu verkünden, das die Kette des Todes durchbricht und das ewige Leben eröffnet, lässt keine Verzögerungen zu, sondern erfordert Bereitschaft und Verfügbarkeit“ (a.a.O., ebd.). Dabei ist zu betonen, dass nicht wir irgendwelche Todesketten durchbrechen, sondern sich in uns die Kraft des Heiligen Geistes entfalten soll, jenes „Übermaß der Kraft, das von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor 4,7).
Eine katholische Verbindung „trägt diesen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen“ (2 Kor 4,7). Wie oft zweifelt man oder fühlt sich von allen Seiten bedrängt (vgl. 2 Kor 4,8). Für viele Christen weltweit ist bittere Realität, gehetzt und niedergestreckt zu werden. Sie erleiden Verfolgung und tragen das Todesleiden Jesu an ihrem Leib (vgl. 2 Kor 4,10). Unsere Schwestern und Brüder an vielen Orten der Welt leben vor, was wir selbst nicht erleben: „Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird“ (2 Kor 4,11). Die Kirche lebt also nicht von neuen Strukturen, sondern von der Lebendigkeit des Zeugnisses für Jesus Christus und Sein Evangelium, das auch für unsere Zeitgenossen – auch hier in Berlin, in Deutschland, an Euren Orten, wo Eure Verbindungen auf verbindliche Art katholisch sind – eine frohe Botschaft ist, die ihnen aber verkündet werden muss. Auf diese Weise ertönt aufs Neue der alte Hymnus in der dritten Strophe:
„Christus, an dir halt’ ich fest
mit der ganzen Kraft meiner Seele:
Dich, Herr, lieb’ ich allein –
suche dich, folge dir nach“.
3. „Ein Weg der Hoffnung“ – Das Heilige Jahr 2025
Mit der Bulle Spes non confundit – die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen (Röm 5,5) hat der Heilige Vater Franziskus an Christi Himmelfahrt, dem 09. Mai 2024 das Ordentliche Jubiläum des Heiligen Jahres 2025 angekündigt, das er in der Heiligen Nacht der Weihnacht am 24. Dezember 2024 eröffnen wird. Der Papst erinnert daran, dass das christliche Leben ein Pilgerweg, „ein Weg ist, der auch starke Momente braucht, um die Hoffnung zu nähren und zu stärken, die unersetzliche Begleiterin, die das Ziel erahnen lässt: die Begegnung mit unserem Herrn Jesus Christus (a.a.O., Nr. 5). Eines der „starken Momente“ ist eine Pilgerreise nach Rom und zu den Gräbern der Apostel und zu den heiligen Stätten. Das Heilige Jahr steht in der Tradition des Gnadenjahres (Jes 61,2), worunter man verstehen kann, dass der Gläubige neu lernt, aufrecht zu gehen und frei zu sein, sich innerlich zu erbauen und auch das Verödete ringsum neu aufzubauen. „Nun ist die Zeit für ein neues Heiliges Jahr gekommen, in dem die Heilige Pforte wiederum weit geöffnet wird, um die lebendige Erfahrung der Liebe Gottes zu ermöglichen, die im Herzen die sichere Hoffnung auf Rettung in Christus weckt“ (a.a.O., Nr. 6).
In einer katholischen Studentenverbindung, wo Aktive und Alte Herren gleichermaßen einen Lebensbund bilden, sollte die Begegnung mit Christus wie ein Lebensquell sein. Hierzu dienen die aufmerksame Lektüre und Betrachtung der Heiligen Schrift. Das kommende Heilige Jahr ist ein starker Moment, doch wir brauchen auch die starken Momente auf dem Weg des Lebens und des Studiums. Die Feier der Eucharistie – die Begegnung mit Jesus unter den Gestalten von Brot und Wein ist eine solche Kraftquelle. Feiert sie in Euren Gemeinschaften und in den Gemeinden, in denen ihr zuhause seid. Übt Euch darin, im Sakrament der Versöhnung Jesus zu begegnen, der jeden von Euch liebevoll in die Arme schließt, der seine Sünden bereut und um Vergebung bittet, und der sagt: „Steht auf und stell dich in die Mitte“ (Mk 3,3). Entdeckt immer neu das Wesentliche, das sich in der mittleren Strophe unseres Hymnus zum Ausdruck bringt:
„Christus, du bist meine Hoffnung,
mein Friede, mein Glück, all mein Leben:
Christus, dir neigt sich mein Geist;
Christus, dich bete ich an“.
Ich empfehle Euch, Eure Verbindungen und den Cartellverband der Fürsprache der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria, dem Sitz der Weisheit, der Sedes sapientiae, auf dass wir alle mit der Kraft des dreieinen Gottes Pilger der Hoffnung werden und glaubwürdige Zeugen Jesu Christi, der uns lehrt: „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27). Amen.