Predigt von Nuntius Eterovic am Fest der Heiligen Familie

Apostolische Nuntiatur, 26. Dezember 2021

(1 Sam 1,20-22.24-28; Ps 84; 1 Joh 3,1-2.21-24; Lk 2,41-52)

Berlin, 26. Dezember 2021

Fest der Heiligen Familie

„Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49).

Liebe Brüder und Schwestern!

Am Sonntag nach dem Weihnachtsfest feiert die Kirche das Fest der Heiligen Familie von Jesus, Maria und Josef, das in diesem Jahr mit dem Fest des Protomärtyrers Stephanus zusammenfällt. Offen für den Heiligen Geist und im Bewußtsein der eben gehörten biblischen Lesungen verweilen wir bei der Betrachtung und im Gebet bei dem Thema der menschlichen Familie (I), insbesondere im Licht des Evangeliums Jesu Christi (II). Wir gedenken auch der zahlreichen Blutzeugen, die nach dem Beispiel des Heiligen Stephanus mit ihrem Leben Zeugnis für ihren Glauben an den Herrn Jesus gegeben haben, der für uns und für unser Heil geboren worden ist (III).

1. „Männlich und weiblich erschuf er sie“ (Gen 1,27).

Die Reflexion zur christlichen Familie führt uns zu den Ursprüngen unseres Glaubens und somit zum Vorhaben Gottes mit Mann und Frau und ihrer dauerhaften Einheit in der Familie. Am Beginn der Bibel lesen wir: „GOTT erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild GOTTES erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“ (Gen 1,27). JHWH segnet das erste Paar und spricht zu ihnen: „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen“ (Gen 1,28).

Den Juden als Glieder des erwählten Volkes ist diese Wirklichkeit der Schöpfung von Mann und Frau, wie auch Gottes Vorhaben, wenn es um die Familie geht, sehr präsent, vor allem mit Blick auf den Segen der Fruchtbarkeit und die Geburt von Kindern. Das können wir auch in der ersten Lesung nachempfinden, wo es um die Geschichte jener Anna geht, die unfruchtbar war, doch von Gott Gnade erfährt und einen Sohn bekommt, Samuel, dessen Name so viel bedeutet wie: „Gott hat erhört“. Nachdem das Kind entwöhnt war, möglicherweise als Samuel etwa drei Jahre alt war, gab Anna ihren Sohn Gott zurück und vertraute ihn der Obhut des Priesters Eli an (vgl. 1 Sam 1,24-28). Auf diese Weise dankt Anna JHWH für das große Geschenk, das sie empfangen hatte. Sie weiß, dass sie ihren Sohn nicht verliert, wenn sie ihn dem Herrn schenkt, im Gegenteil, Samuel bleibt für immer ihr Sohn, doch er wird nun zu einem besonderen Band zwischen ihr und Gott.

Aus diesen Zeugnissen der Bibel können wir das ursprüngliche Vorhaben Gottes zur menschlichen Familie ersehen, wie auch zum großen Wert des menschlichen Lebens überhaupt und zur Gabe, einen Menschen zu zeugen, was stets ein wunderbares Geschenk Gottes bleibt, als auch zum Wert der priesterlichen Berufung. Samuel weiht sich Gott, doch er bleibt auch im religiösen und geistlichen Dienst an seinem Volk Israel.

2. „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mk 10,9).

Das göttliche Vorhaben zur Familie hat der Herr Jesus bekräftigt, indem er eine vorschnelle Scheidung von Eheleuten ablehnte, wie es das Gesetz des Mose in einigen Fällen vorsieht. Die Worte Jesu hierzu sind klar: „Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie männlich und weiblich erschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mk 10,6-9). Mehr noch hat Jesus Christus die Verbindung von Mann und Frau zur Würde des Sakramentes erhoben. Es gründet auf der Würde der Christen, denn sie sind schon durch die Taufe Kinder Gottes, wie der Heilige Johannes in seinem ersten Brief lehrt (vgl. 1 Joh 3,1). Seine Mahnung zur Liebe kann insbesondere auf die Brautleute angewandt werden: „Und das ist sein Gebot: Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben gemäß dem Gebot, das er uns gegeben hat“ (1 Joh 3,23). Diese achtsame und treue Liebe verdient den Segen Gottes: „Wer seine Gebote hält, bleibt in Gott und Gott in ihm. Und daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1 Joh 3,24).

Das Zentrum der Heiligen Familie ist Jesus Christus. Er soll in jeder christlichen Familie auf diese Weise gegenwärtig sein und den ersten Platz einnehmen. Mit seiner Gnade und seiner Vergebung gibt der Herr den Eheleuten die Kraft, immer wieder das tägliche gemeinsame Leben anzufangen, von gegenseitiger Liebe getragen, was nicht selten Vergebung und Geduld bei dem gemeinsamen Auftrag der Kindererziehung voraussetzt, denn die Kinder sollen wie Jesus aufwachsen können, denn er „wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk 2,52).

3. „Kind, warum hast du uns das angetan?“ (Lk 2,48).

Dass Jesus im Tempel von Jerusalem zurückgeblieben war, verursachte seinen Eltern Maria und Josef tiefen Schmerz, wie wir den Worten seines Mutter entnehmen können: „Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht“ (Lk 2,49). Jesus, der „ihnen gehorsam war“ (Lk 2,51), hat jedoch eine unerwartete Entscheidung getroffen. Aus seiner Antwort kann man schließen, dass er den Ruf Gottes, seines Vaters hörte und daher in Jerusalem geblieben war. Im Tempel vernahm er, was die Gelehrten sagen und stellt ihnen Fragen, so dass alle „erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten waren“ (Lk 2,47). Maria und Josef haben die wahre Bedeutung der Antwort Jesu nicht erfasst: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49). Möglicherweise hat diese ihnen unverständliche Antwort eine andere Art von Schmerz verursacht, auch wenn sie glücklich waren, Jesus wiedergefunden zu haben. Ähnliche Erfahrungen machen Eltern bei ihren Kindern, die mit der Zeit wachsen und anfangen, eigene Entscheidungen zu treffen und danach suchen, selbstständig zu werden. Aber auch in diesen Zeiten sollen ihnen die Eltern nahe bleiben, müssen deren Persönlichkeit achten, die sich herausbildet, wobei sie dabei helfen sollen, diese auf das Gute auszurichten, auf die Liebe zu Gott und den Nächsten.

Der Schmerz von Maria und Josef lässt uns an das Martyrium des Heiligen Stephanus denken, der seine Treue zu Jesus Christus mit seinem eigenen Leben bezeugt hat. In seinem Sterben aufgrund von Glaubenshass (odium fidei) ist er seinem Meister bis hinein in das Gebet gefolgt: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an“ (Apg 7,60). Seinen Geist hat Stephanus ihm anvertraut, indem er rief: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf“ (Apg 7,59).

Im Lauf der Kirchengeschichte haben viele Christen ihr Leben für Jesus Christus gegeben, darunter viele einzelne Personen, aber auch ganze Familien. Wir denken an die vielen Menschen und Familien, die aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, beispielsweise aus dem Irak während der Zeit des sogenannten Islamischen Staates Daesh/ISIS. Nach der am 13. Januar 2021 von Open Doors veröffentlichten World Watch List wurden im Zeitraum vom 1. Oktober 2019 bis 30. September 2020 weltweit 4.716 Christen getötet, 4.277 ohne Prozess in Gefängnisse geworfen und 1.710 entführt und verschleppt. In dieser Zeit wurden mehr als 340 Millionen Christen wegen ihres Glaubens verfolgt.

Liebe Brüder und Schwestern, beten wir an diesem Sonntag vor allem für die Familien, vor allem jene, die sich in Krisen befinden oder die verfolgt werden. Auf die Fürsprache der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria und des Heiligen Nährvaters Josef mögen alle Ehepaare in Frieden leben und die Schönheit ihrer Berufung zur Familie wiederentdecken, damit sie sich mit Liebe und Großherzigkeit der Erziehung ihrer Kinder widmen, welche die Zukunft von Gesellschaft und Kirche sind. Bei dieser wertvollen Aufgabe mögen sie stets der Bedeutung des christlichen Glaubens bewußt bleiben, insbesondere des Geheimnisses einer gelungenen Familie, nämlich Jesus Christus und sein Evangelium des Heils im Zentrum des Lebens und der Familie zu halten. Durch Ihn und in der Gnade des Heiligen Geistes sollen sie die Begegnung mit dem himmlischen Vater erreichen. Denn der Herr Jesus, der in dem sein muss, was seinem Vater gehört (vgl. Lk 2,49), wird Ihm unsere Bitten und vor allem unser Zeugnis eines christlichen Lebens präsentieren. Amen.

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