Predigt von Nuntius Eterovic am Fest der Heiligen Familie

Berlin, 29. Dezember 2019

(Sir 3,2-6.12-14; Ps 128; Kol 3,12-21; Mt 2,13-15.19-25)

„Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten“ (Mt 2,13).

Liebe Schwestern und Brüder!

Der erste Sonntag des weihnachtlichen Festkreises ist der Heiligen Familie mit Jesus, Maria und Joseph geweiht. Im Licht der Familie von Nazareth lädt uns die Kirche ein, über die Familien auf der ganzen Welt nachzudenken und für sie zu beten. Das wollen auch wir tun und uns der Gnade des Heiligen Geistes öffnen, der die Gläubigen zu einem immer tieferen Verstehen des Wortes Gottes führt und somit auch zu einem besseren Verständnis des göttlichen Projektes der menschlichen Familie, welche die grundlegende Zelle von Kirche und Gesellschaft ist (I). Die Gnade Gottes steht den Mitgliedern der Familien – Vater, Mutter, Kindern – in den inneren und äußeren Schwierigkeiten bei (II).

1. Das Projekt Gottes

In der Familie von Nazareth sehen wir das Projekt Gottes zur Familie verwirklicht. Schon am Anfang der Bibel wurde es offenbart. Im Buch Genesis heißt es: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“ (Gen 1,27). In der Folge wollte Gott, daß sich Mann und Frau zu einem einzigen Fleisch vereinen: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch“ (Gen 2,24).

Das Ebenbild Gottes ist der von Ihm geschaffene Mensch, nämlich Mann und Frau. Aus der Offenbarung wissen wir, daß Gott die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8.16). Daher muss auch die Einheit von Mann und Frau, die als Bild Gottes geschaffen sind, diese Liebe widerspiegeln. Dies findet in der Einheit von Maria und Joseph ein besonderes Beispiel. Die menschliche Liebe, die zwischen beiden besteht, ist eingefügt in die große Liebe Gottes, die in der Familie von Nazareth mit Blick auf die Geburt und Erziehung Jesu, Gottes und Mariens Sohn, eine besondere Aufmerksamkeit genießt. Beide Eheleute hatten in Freiheit das Projekt der Liebe Gottes akzeptiert. Maria tat dies mit den Worten: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Und auch Joseph, als er nach der Vision erwachte, tat, „was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich“ (Mt 1,24). Jesus ist das Zentrum der Heiligen Familie von Nazareth. Deshalb ist der in Bethlehem geborene Jesus der Gott der Liebe, der Mensch geworden ist. Aus der Wiege von Bethlehem verströmt Jesus die Liebe zu Gott und zum Nächsten, besonders zu Maria und Joseph, die sich beide von dieser Liebe umarmen lassen. Die Liebe zu Gott und zueinander, der Glaube an Gott und das Verlangen, den Willen Gottes zu erfüllen, sind die unverwechselbaren Elemente der Familie von Maria und Josef; und sie sollten es in jeder christlichen Familie sein.

2. Die Mühen des familiären Lebens

Das Wort Gottes beschreibt nicht nur eine abstrakte Vision oder eine Theorie von Familie. In den Lesungen, die wir gehört haben, gibt es die erwähnten verschiedenen Mühen und Schwierigkeiten zwischen den Familienmitgliedern, wie auch zwischen der Familie und der Gesellschaft. Nur zwei seien erwähnt: die Migration und die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern.

Flucht nach Ägypten. Im heutigen Evangelium schildert der Heilige Matthäus die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Herodes der Große (73 v. Chr. bis 4 n. Chr.), König von Juda, wollte Jesus töten, nachdem er von den drei Weisen gehört hatte, in Bethlehem sei der „König der Juden“ geboren worden. Herodes fürchtete um seine Macht; und das Massaker an Unschuldigen, wie auch der Plan, das Jesuskind umzubringen, reuten ihn nicht (vgl. Mt 2,16-18). Joseph flüchtet mit Jesus und Maria nach Ägypten, nachdem er im Traum durch einen Engel von dieser Gefahr unterrichtet worden war. Bis zum Tod des Herodes befand sich die Heilige Familie auf der Flucht.

Es handelt sich um ein bedeutsames Ereignis. Der Herr Jesus betritt ägyptischen Boden als Verfolgter und bezeugt mit seiner Gegenwart in diesem Gebiet die Ankunft des Himmelreiches. Ägypten ist daher gleichsam schon an seinem Anfang die Tür des Christentums auf dem großen Kontinent Afrika. Außerdem ist die Heilige Familie somit die Ikone für die vielen Familien, die aus unterschiedlichen Gründen, vor allem aufgrund von Gewalt und religiöser Verfolgung, ihre Heimat verlassen und woanders Zuflucht suchen. Nach den Zahlen der Vereinten Nationen gab es im Jahr 2019 weltweit 272 Millionen Migranten; unter ihnen zahlreiche Familien. Alle Menschen guten Willens und vor allem die Christen sind aufgerufen, ihnen auf bestmögliche Weise zu helfen, so daß sie nach dem Beispiel der Heiligen Familie von Nazareth Aufnahme in einem anderen Land finden und hoffentlich in ihre Heimatländer zurückkehren können, sobald sich die Bedingungen gebessert haben.

Die Beziehungen von Kindern und Eltern. Die heutigen Lesungen bieten wertvolle Hinweise zu den Beziehungen zwischen den Eheleuten, von Vater und Sohn oder Kindern und Eltern. Alle diese zu betrachten, würde den Rahmen sprengen. Daher möchte ich nur kurz bei den konkreten Hinweisen über die Beziehung von Kindern und Eltern verweilen. Diese Beziehung ist natürlich wechselseitig. Daher fordert der Heilige Paulus die Eltern auf, die Kinder gut zu behandeln: „Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden“ (Kol 3,21). Die Kinder hingegen werden ermahnt: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem, denn das ist dem Herrn wohlgefällig“ (Kol 3,20). Es handelt sich um die regulären Beziehungen unter normalen Lebensbedingungen. Der Verfasser des Buches Jesus Sirach nimmt die Situation kranker Eltern in den Blick und die Pflicht der Kinder, ihnen beizustehen: „Kind, nimm dich deines Vaters im Alter an und kränke ihn nicht, solange er lebt! Wenn er an Verstand nachlässt, übe Nachsicht und verachte ihn nicht in deiner ganzen Kraft“ (Sir 3,12-13). Über die menschliche Pflicht hinaus, denen beizustehen, die das Leben geschenkt haben, gibt es ein Gebot Gottes: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir der HERR, dein Gott, geboten hat, damit du lange lebst und es dir gut geht in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt“ (Dtn 5,16). Auch das Sirach-Buch verbindet die Sorge für die Eltern mit dem Segen Gottes: „Denn die dem Vater erwiesene Liebestat wird nicht vergessen; und statt der Sünden wird sie dir zur Erbauung dienen“ (Sir 3,14).

Wie aktuell ist dieses Thema, wovon Jesus Sirach schon um das Jahr 180 vor Christus handelt! Es erinnert auch uns daran, die Eltern zu ehren, das bedeutet nicht nur, ihnen gegenüber respektvoll zu sein, sondern auch, ihnen zu helfen, wenn ihre Kräfte nachlassen, für sie zu sorgen, wenn sie krank sind, zu helfen, wenn sie materielle oder spirituelle Unterstützung benötigen. Die Sorge für die alten und kranken Eltern ist oftmals sehr schwer. Es ist zuweilen nötig, Hilfe durch medizinisch oder in der Pflege qualifiziertes Personal zu suchen. Die Pflicht der Kinder hinsichtlich ihrer Eltern wird dadurch jedoch niemals aufgehoben. Das Opfer, das sie hierbei bringen, wird gelohnt werden und von Gott reich gesegnet.

Liebe Brüder und Schwestern, es erübrigt sich, daran zu erinnern, daß die Familie als Institution heute in der Krise ist. Das sehen wir an der großen Zahl von Menschen, die, ohne verheiratet zu sein, zusammen leben, dem hohen Anteil an Scheidungen und den vielen Schwierigkeiten im Schoß der Familien. Die Christen dürfen nicht vergessen, um ein gutes Familienleben zu führen, müssen sie vor allem auf die Hilfe Gottes zählen und die Ermahnung des Heiligen Paulus umsetzen, wenn er schreibt: „Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr“ (Kol 3,12-13).

Vertrauen wir unsere Überlegungen zur Familie der mächtigen Fürsprache der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria und dem Heiligen Joseph, ihrem keuschen Bräutigam, an, auf daß das Jesuskind alle Familien segne, vor allem jene, die sich in der Krise befinden. Die Heilige Familie möge mit ihrem Beispiel die Männer und Frauen ermutigen, die Größe der Institution der Familie neu zu entdecken, die Jesus zur Würde des Sakramentes erhoben hat. Die Familie möge immer mehr zu einer Hauskirche werden, zu einem Ort, wo gegenseitiger Respekt und wechselseitige Hilfe herrschen und wo die Liebe für das Leben und für das Wohl von Kirche und Gesellschaft offen ist. Amen.

 

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