Predigt von Nuntius Eterovic auf der Heiligtumsfahrt in Aachen

Katschof in Aachen, 11. Juni 2023

(Gen 1,26-31; Ps 110; Kol 1,12-20; Mt 16,13-19)

„Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16).

Exzellenzen,
verehrte Mitbrüder im Priester- und Diakonenamt,
verehrte Ordensleute,
sehr geehrte Damen und Herren aus Politik und Verwaltung,

liebe Brüder und Schwestern! Mit den Worten: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ hat Simon Petrus seinen Glauben an Jesus von Nazareth ausgedrückt, den Menschen und Gott. Er tut dies in seinem Namen, spricht aber auch für alle übrigen Apostel. In diesen Worten mit tiefer theologischer und geistlicher Bedeutung findet sich die Mission des Apostel Petrus, wie auch die seiner Nachfolger. Jesus hat sie als sichtbare Häupter Seiner Kirche eingesetzt. Durch den Heiligen Geist und mittels der Personen, die Er auserwählt, wird diese wichtige Mission fortgesetzt. Denn der Herr lobt den Glauben des Petrus und sagt: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Zeichen dieser Vollmacht sind die Schlüssel des Himmelreiches, die dem Petrus und seinen Nachfolgern anvertraut sind. Mit ihnen verbindet sich die Verheißung Jesu: „Was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,19).

Auch der Petrus unserer Tage, Papst Franziskus, hat die gleiche Mission: im Namen der ganzen Kirche zu bekennen, dass Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist. Christus allein ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Allein in Ihm können wir erlöst werden, denn „in keinem anderen ist das Heil zu finden. Es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12).

1. „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16).

Als Vertreter des Heiligen Vaters Franziskus in der Bundesrepublik Deutschland bin ich der göttlichen Vorsehung dankbar, diese festliche Eucharistie aus Anlass der Heiligtumsfahrt in Aachen feiern zu können. Gerne erinnere ich der letzten Heiligtumsfahrt im Jahr 2014, die ich ebenfalls hier erleben durfte. Dieses Fest des Glaubens, der Hoffnung und der liebe findet eigentlich alle sieben Jahre statt. Leider aber musste sie aufgrund der Corona-Pandemie um zwei Jahre in dieses Jahr verschoben werden. Ich danke Gott für die große Gnade, nunmehr zum zweiten Male daran teilzunehmen.

Ihr alle, liebe Schwestern und Brüder, seid gekommen, um die vier Reliquien, die in Eurem geschichtsträchtigen und wunderschönen Dom aufbewahrt werden, zu verehren und daraus geistliche Kraft zu schöpfen. Denn sie erinnern uns an die christologische Ausrichtung unseres Glaubens. Das gilt insbesondere für jene beiden Reliquien, die direkt mit dem Herrn verbunden sind: die Windeln und das Lendentuch Jesu, das ich auf diesen Platz tragen durfte. Aber auch die beiden anderen Heiligtümer, das Marienkleid und das Enthauptungstuch von Johannes dem Täufer richten unseren Sinn und unsere Gebete auf Jesus Christus hin, der aus der seligen Jungfrau Maria geboren worden ist. Sie wurde nach dem Willen des Herrn Jesus auch zur Mutter der Kirche. Das große Zeugnis von Johannes dem Täufer ist die Erkenntnis, dass Jesus der Messias ist, der von seinem Volk Israel ersehnt wurde: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29).

Bei dieser festlichen Gelegenheit wollen wir, liebe Brüder und Schwestern, öffentlich mit dem Mund und mit gläubigem Herzen bekennen: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Uns gelingt dieses Bekenntnis leichter, wenn wir die materiellen Dinge betrachten, die uns den Herrn als geschichtliche Person näherbringen, der uns in allem gleich war, ausgenommen die Sünde (vgl. Hebr 4,15). Zugleich offenbaren diese verehrten Gegenstände das Geheimnis der Menschwerdung in der Fülle der Zeit, die der heilige Johannes so tiefgründig im Prolog seines Evangeliums ausdrückt, wenn er sagt: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14).

Liebe Schwestern und Brüder, ich freue mich, Euch die herzlichen Grüße des Heiligen Vaters Franziskus zu überbringen, des Bischofs von Rom und Hirten der Universalkirche. Im Gebet sind wir geistlich mit dem Papst Franziskus vereint, denn er ist „als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ (Lumen Gentium, 23). Als wirksames Zeichen der Einheit mit dem Papst erteile ich allen, die an der Heiligtumsfahrt im Jahr 2023 teilnehmen, am Ende der Heiligen Messe den Apostolischen Segen, mit dem ein vollkommener Ablass verbunden. Diesen kann man bekanntlich zu besonderen Anlässen erlangen, womit drei Bedingungen verknüpft sind: a) Der Empfang des Bußsakramentes, um durch die Lossprechung von Sünden, auch den lässlichen, innerlich bereit zu sein; b) Der Empfang der heiligen Kommunion und c) das Gebet nach der Meinung des Heiligen Vaters.

Aus christologischer Sicht erinnern uns die Reliquien an die Gegenwart des Herrn Jesus mitten unter uns Menschen. Öffnen wir uns dem Heiligen Geist und lasst uns bei zwei Themen verweilen, welche die biblischen Lesungen nahelegen. Das erste bezieht sich auf die christliche Anthropologie und zweitens auf die universale Berufung zur Heiligkeit.

2. „Gott erschuf den Menschen als sein Bild … Männlich und weiblich erschuf er sie“ (Gen 1,27).

Das Wort Gottes, das wir gehört haben, ermuntert uns, über den Heilsplan Gottes mit dem Menschen nachzudenken, der nach seinem Bild geschaffen ist. Die Lehre, die wir gemeinsam mit den jüdischen Schwestern und Brüdern haben, weil wir sie in derselben Bibel finden, was bei uns das Alte Testament ist, hat Jesus Christus zur Erfüllung gebracht. Auf die Frage der Pharisäer, ob es erlaubt sei, seine Frau aus der Ehe zu entlassen, sagt Er: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie am Anfang männlich und weiblich erschaffen hat und dass er gesagt hat: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein? Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,4-6). In der Konsequenz hat der Herr Jesus die Ehe von Getauften zum Sakrament erhoben. Sie ist das Einvernehmen zwischen Mann und Frau, eine lebenslange Gemeinschaft zu gestalten, die „auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist“ (Katechismus der Katholischen Kirche, 1601). Die Katholische Kirche hat diese Lehre stets in Treue zum Herrn verkündet und alten wie neuen Angriffen auf die Familie standgehalten, welche die Urzelle von Kirche und Gesellschaft ist.

Die Erzählung im Buch Genesis enthält zwei wichtige anthropologische Aspekte, zu denen der Heilige Vater zwei wichtige Dokumente geschrieben hat. Der erste bezieht sich auf die gleiche Würde aller nach dem Bild Gottes geschaffenen Menschen. Diese Wahrheit überschreitet die Grenzen von Religionen und Weltanschauungen oder anderer möglicher Gegenentwürfe. Hierzu zitiert Papst Franziskus in der Enzyklika Fratelli tutti vom 3. Oktober 2020 aus dem Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt, das er am 4. Februar 2019 gemeinsam mit dem Großimam Ahmad Al-Tyyeb in Abu Dhabi unterzeichnet hat, um zu erinnern, dass Gott „alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher Würde geschaffen und sie dazu berufen hat, als Brüder und Schwestern miteinander zusammenzuleben“ (FT 5).
Das zweite Thema ist ökologischer Natur. Als Gott den Menschen schuf, segnet er ihn und gibt als Auftrag: „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen“ (Gen 1,28). Der Wille Gottes ist daher eine doppelte Ökologie von der Natur und der des Menschen. In der Enzyklika Laudato si‘ vom 24. Mai 2015 präzisiert Papst Franziskus: „Das menschliche Dasein (gründet) auf drei fundamentale, eng miteinander verbundene Beziehungen: die Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zur Erde. Der Bibel zufolge sind diese drei lebenswichtigen Beziehungen zerbrochen, nicht nur äußerlich, sondern auch in unserem Innern. Dieser Bruch ist die Sünde. Die Harmonie zwischen dem Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung wurde zerstört durch unsere Anmaßung, den Platz Gottes einzunehmen, da wir uns geweigert haben anzuerkennen, dass wir begrenzte Geschöpfe sind. Diese Tatsache verfälschte auch den Auftrag, uns die Erde zu ‚unterwerfen‘ (vgl. Gen 1,28) und sie zu ‚bebauen‘ und zu ‚hüten‘ (vgl. Gen 2,15)“ (LS 67).

Es gibt aber auch eine Ökologie des Menschen, wie Papst Franziskus im Anschluss an Papst Benedikt XVI. sagt, „denn auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. … Ebenso ist die Wertschätzung des eigenen Körpers in seiner Weiblichkeit oder Männlichkeit notwendig, um in der Begegnung mit dem anderen Geschlecht sich selbst zu erkennen. Auf diese Weise ist es möglich, freudig die besondere Gabe des anderen oder der anderen als Werk Gottes des Schöpfers anzunehmen und sich gegenseitig zu bereichern. Eben deswegen ist die Einstellung dessen nicht gesund, der den Anspruch erhebt, den Unterschied zwischen den Geschlechtern auszulöschen, weil er sich nicht mehr damit auseinanderzusetzen versteht“ (LS 155).

3. „Anteil haben am Los der Heiligen, die im Licht sind“ (Kol 1,12)

Im Brief des heiligen Apostels Paulus an die Gemeinde in Kolossä heißt es: „Wir danken Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, allezeit, wenn wir für euch beten. Denn wir haben von eurem Glauben in Christus Jesus gehört und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt wegen der Hoffnung, die für euch im Himmel bereitliegt“ (Kol 1,3-5). Der Völkerapostel nennt die Christen Heilige, weil sie die gute Nachricht empfangen haben, woraus Gutes erwächst nach dem christlichen Ideal der Heiligkeit. Gemeinsam mit ihnen dankt er „dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind“ (Kol 1,12).
Der dem Herrn treue Jünger Paulus sucht die Aufforderung seines und unseres Meister Jesus Christus umzusetzen, der uns anweist: „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48). Dies ist eng verbunden mit der Ermahnung Gottes an die Glieder des erwählten Volkes: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2). Der heilige Petrus seinerseits ermuntert uns: „Als Kinder des Gehorsams gebt euch nicht den Begierden hin, wie früher in eurer Unwissenheit! Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch eure ganze Lebensführung heilig sein. Denn es steht geschrieben: Seid heilig, weil ich heilig bin“ (1 Petr 1,14-16).

Liebe Schwestern und Brüder, dieser Zuspruch zur Heiligkeit bekommt vor den Reliquien von drei herausragenden Heiligen eine besondere Bedeutung. Jesus Christus ist „der Heilige Gottes“ (Joh 6,69), der nicht nur Worte des ewigen Lebens hat, sondern auch durch die Sakramente die Gnadenmittel schenkt, dies zu erreichen. Seine Mutter, die selige Jungfrau Maria „voll der Gnade“ (Lk 1,28), hat ein exemplarisch heiliges Leben geführt, so dass sie nach Vollendung ihres irdischen Pilgerweges „mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen“ wurde (Pius XII., Apostolische Konstitution Munifcentissimus Deus, 01. November 1950, 44). Johannes der Täufer, der Größte je von einer Frau Geborene (vgl. Mt 11,11), hat ohne Zögern das Martyrium auf sich genommen, denn er hatte keine Furcht, dem mächtigen Herodes den Vorwurf zu machen: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zur Frau zu haben“ (Mk 6,18). Als Verteidiger der Wahrheit ist sein Name im großen Buch der Märtyrer verzeichnet, wo die Zeugen jener Wahrheit stehen, die in der Person Jesu Christi ihre endgültige Gestalt angenommen hat.

Liebe Brüder und Schwestern, die Einladung zur Heiligkeit wurde kraftvoll vom II. Vatikanischen Konzil aufgegriffen, vor allem im V. Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, das überschrieben ist: Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche. In diesem bedeutsamen Dokument wird ausgeführt, dass die Kirche heilig ist, auch wenn sie sich aus sündigen Menschen zusammengesetzt, die zur Umkehr und zur Heiligkeit berufen sind. „Jedem ist also klar, daß alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind. Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine menschlichere Weise zu leben gefördert. Zur Erreichung dieser Vollkommenheit sollen die Gläubigen die Kräfte, die sie nach Maß der Gnadengabe Christi empfangen haben, anwenden, um, seinen Spuren folgend und seinem Bild gleichgestaltet, dem Willen des Vaters in allem folgsam, sich mit ganzem Herzen der Ehre Gottes und dem Dienst des Nächsten hinzugeben. So wird die Heiligkeit des Gottesvolkes zu überreicher Frucht anwachsen, wie es die Kirchengeschichte durch das Leben so vieler Heiliger strahlend zeigt“ (LG 40).

Die Heiligen sind stets die wahren Reformer der Kirche gewesen. Durch ihr Leben und mit ihren Werken zeigen sie, dass für eine wirkliche Reform nicht ausreicht, Strukturen zu ändern, sondern sich der Mensch wandeln und der Gläubige beseelt sein muss vom christlichen Geist der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Erlauben wir also dem Heiligen Geist diese Verwandlung in uns sündigen Menschen, die zur Heiligkeit berufen sind, indem wir mit Simon Petrus unseren Glauben an den Herrn Jesus bekennen: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Amen.

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