Predigt von S.Em. Pietro Kardinal Parolin, Staatssekretär Seiner Heiligkeit

St. Johannesbasilika zu Berlin, am Hochfest der Hll. Apostel Petrus und Paulus, 29. Juni 2021

(Apg 12,1-11; Ps 34; 2 Tim 4,6-8.17-18; Mt 16,13-19)

Liebe Schwestern und Brüder!

Es freut mich sehr, mit Euch das Hochfest der heiligen Apostel Petrus und Paulus zu feiern. Der Herr gibt uns die Gnade, hier in Berlin aus Anlass von 100 Jahren der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl der beiden Apostel zu gedenken, die in Rom ihr Blut vergossen haben. Die Vorsehung schlägt eine geistliche Brücke über geschichtliche Räume und verschiedene Zeiten und erlaubt uns heute, das Zeugnis zu aktualisieren, mit dem die Apostel die Ursprünge unseres gemeinsamen Glaubens gekennzeichnet haben.

Ich möchte zuerst alle Anwesenden brüderlich grüßen und Euch die Nähe und herzlich wohlwollenden Grüße von Papst Franziskus, des Nachfolgers Petri, übermitteln. „Wie auch immer der Name, das Gesicht, die menschliche Herkunft eines jeden Papstes sein mag - sagte Pius XII., dem wir hier auch deshalb gedenken wollen, weil er nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1920 der erste Apostolische Nuntius in Deutschland war - es ist immer Petrus, der in ihm lebt; es ist Petrus, der leitet und regiert; es ist vor allem Petrus, der das Licht der befreienden Wahrheit über die Welt lehrt und verbreitet" (Generalaudienz am 17. Januar 1940). Wir wollen für Papst Franziskus beten - wie es die Kirche in Jerusalem getan hat, als man Petrus ins Gefängnis geworfen hatte (vgl. Apg 12,5). Er selbst bittet die Gläubigen immer wieder um ihr Gebet, damit der Herr ihn erleuchte und unterstütze bei der Ausübung seines besonderen Amtes im Dienst an der Einheit im Glauben und der Gemeinschaft, was für die Erfüllung der Heilssendung der Kirche unverzichtbar ist (vgl. Dekret Unitatis redintegratio, 1).

Ich danke der göttlichen Vorsehung für die Gnade, in Berlin zu sein, das einmal Symbol für die Teilung Deutschlands und für den Eisernen Vorhangs war, der die beiden Blöcke des Westens und Ostens trennte. Nach dem Fall der Berliner Mauer am 09. November 1989, der ein Zeichen des Zusammenbruchs der kommunistischen Systeme in Europa ist, konnte sich die Stadt wiedervereinen und wichtige Impulse beim Prozess der nationalen Einheit und internationalen Einigung geben.

In diesem Moment denke ich gerne an die beiden Päpste, die in den letzten Jahrzehnten diese wiedergeborene Stadt besucht haben. So der Heilige Johannes Paul IL, der vor 25 Jahren am 23. Juni 1996 im Berliner Olympiastadion zwei Diener Gottes und Opfer des nationalsozialistischen Regimes seliggesprochen hat: Bernhard Lichtenberg und Karl Leisner. 15 Jahre später am 22. September 2011 hat ein berühmter Sohn Eurer Nation, Papst Benedikt XVI., Berlin besucht und vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine denkwürdige Ansprache über die wahre menschliche Freiheit gehalten.

Petrus und Paulus haben in derselben Stadt ihr Leben hingegeben, jedoch an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten, so dass jede der beiden Gestalten aufgrund ihrer beachtlichen Größe ein eigenes Gedenken verdient. Die Kirche aber feiert diese beiden Säulen des Glaubens gemeinsam und unterstreicht damit einen wesentlichen Zug, der mit Blick auf die Charismen beider herausragend ist, sowohl bei Petrus, wie auch bei Paulus, nämlich die Einheit in der Kirche. „Auf verschiedene Weise sammelten sie die eine Familie Christi", heißt es in der Präfation des heutigen Festtages (Missale Romanum).

Sie sammelten auf verschiedene Weise dieselbe Kirche. Dabei benennt die Heilige Schrift klar ihre Unterschiedlichkeit. Petrus war Fischer und kam aus Galiläa, einer kosmopolitischen Region, die nicht nur geographisch weit entfernt vom Zentrum und der kulturellen Einheitlichkeit in Jerusalem war. Paulus hingegen wuchs in genau dieser religiösen Tradition auf und bekannte von sich selbst: „Mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein" (Gal 1,14). Der eine war also mit Fischernetzen vertraut, der andere mit den Schriftrollen des Gesetzes; Petrus war eher der Praktiker, Paulus der Gelehrte; jener hat als erster bekannt, dass Jesus der Christus ist, wie wir im Evangelium gehört haben, der andere wurde als letzter zum Apostel berufen. Als sie die Mission begannen, wandte sich Petrus an seine jüdischen Landsleute, Paulus an die Heiden. Es zeigt sich ein tiefgreifender Unterschied im Charakter, der auch zu angeregten Auseinandersetzungen führte, wie Paulus selbst in einem Brief mitteilt (vgl. Gal 2,11 ff).

Gerade die markanten Unterschiede bringen jedoch eine noch tiefere Einheit zum Vorschein. Und dorthin möchte ich gelangen, um zu begreifen, wo der Schwerpunkt der Gemeinschaft liegt. Es ist in der Tat wichtig, sich wieder auf eine Einheit zu besinnen, die nicht von der Zustimmung zu gemeinsamen Visionen und Orientierungen abhängt, wie in der Politik üblich, sondern von der theologisch-spirituellen Verwurzelung in Gott. Es ist ein bleibender Auftrag der Kirche, an der Einheit zu arbeiten, um auf die letzte eindringliche Bitte Jesu an den himmlischen Vater vor seinem Leiden zu antworten, dass „alle eins sein sollen" (Joh 17,21). Im heutigen Kontext, dem Partikularismen und Vorurteile sicherlich nicht fremd sind, ist dies umso notwendiger. Ich schlage daher zwei Eckpfeiler des christlichen Lebens vor, worauf die Gestalten von Petrus und Paulus sich gründen und vereinen. Das erste ist der Primat der Gnade, das zweite die Sorge um die ganze Kirche.

Der Primat der Gnade

Der Primat der Gnade ist der gemeinsame Nenner, der die Erfahrung der beiden Apostel charakterisiert. Sie haben ihre Schwächen, Unfähigkeiten und sogar ihr eigenes Versagen umfassend erlebt. Petrus, der den Christus in Jesus erkannt hatte, verleugnet ihn in einem entscheidenden Moment während der Passion und behauptet, er wisse nicht, wer er sei, nachdem er ihm noch kurz vorher beim letzten Abendmahl die ewige Treue geschworen hatte. Nachdem Paulus das Martyrium des Stephanus gutgeheißen hatte, verfolgte er die Kirche unbeirrt weiter und beschmutzte seine Hände mit dem unschuldigen Blut derer, die er bald Brüder nennen würde. Das Leben der Gestalten, die wir heute betrachten, ist daher nicht eine Spiegelung des je anderen und geradlinig, sondern eher gewunden und von großen Brüchen verwundet.

Genau hier setzt Gottes Handeln ein: Petrus, großzügig, aber zerbrechlich, wurde zu einem festen Fels, als er zu Ostern die Kraft der Barmherzigkeit Jesu erlebte, die größer war als sein Elend. Durch die Vergebung Christi wiederhergestellt, gab er sein Leben für seine Brüder hin. Paulus, zunächst erstarrt in einer Religiosität, die auf akribischer Gesetzesbefolgung beruhte, änderte sein Leben, als er sich auf dem Weg nach Damaskus von seinen Gewissheiten löste und sich dem Gott der Gnade öffnete, bis er nicht mehr für sich selbst lebte, sondern für Christus, der sein Leben für ihn hingegeben hat (vgl. Gal 2,20). Petrus verstand, dass seine leeren Netze durch das Wort des Herrn gefüllt würden (vgl. Lk 5; Joh 21); Paulus ging so weit, sich seiner Schwächen zu rühmen, solange das Einzige, was zählte, die Gnade Christi, in ihm wohnte (vgl. 2 Kor 11-12). So entdeckten beide den Primat der Gnade: Sie verstanden, dass das christliche Leben nicht auf guten frommen Absichten oder menschlichen Vorhaben beruht, sondern auf der gefügigen Offenheit gegenüber dem überraschenden Wirken Gottes, der sie zu dem gemacht hat, was sie sich nie hätten vorstellen und auf sich allein gestellt nicht hätten werden können.

Der Herr - so hat Papst Franziskus gesagt - „wird nicht von unseren Fähigkeiten angezogen, sie sind auch nicht der Grund dafür, dass er uns liebt. Er liebt uns so, wie wir sind, und er sucht Menschen, die sich nicht selbst genügen, sondern die bereit sind, ihm ihre Herzen zu öffnen" (Predigt am Hochfest der heiligen Petrus und Paulus, 29. Juni 2019).

Der Primat der Gnade ist ein Ausdruck, den der Heilige Vater erst kürzlich gebrauchte, um aufzuzeigen: „Das ist der entscheidende Schritt im geistlichen Leben, bei dem es nicht um das Sammeln von eigenen Verdiensten und Werken geht, sondern um eine demütige Annahme Gottes". Und er fügt hinzu: „Dies gilt auch für die Kirche. Wir retten niemanden, nicht einmal uns selbst, mit unseren eigenen Kräften. Wenn wir unseren Projekten, unseren Strukturen und unseren Reformplänen den Vorrang geben, verfallen wir in einen Funktionalismus, in ein Leistungsdenken, in eine reine Horizontalität, und so werden wir keine Früchte bringen". Denn die Kirche „ist nicht nur eine menschliche Organisation -, die Kirche ist der Tempel des Heiligen Geistes" und „reformiert sich mit der Salbung, mit der Selbstlosigkeit der Salbung durch die Gnade, mit der Kraft des Gebets, mit der Freude der Mission, mit der entwaffnenden Schönheit der Armut" (Predigt am Pfingstfest, 23. Mai 2021).

Mir scheint, dass der Papst mit diesen Worten in gewisser Weise das wiederholte, was er gerade der Kirche in Deutschland anlässlich des Hochfestes der heiligen Petrus und Paulus vor zwei Jahren mit einem Schreiben zum synodalen Weg empfohlen hatte. Bei dieser Gelegenheit schrieb er: „Sooft eine kirchliche Gemeinschaft versucht hat, alleine aus ihren Problemen herauszukommen, und lediglich auf die eigenen Kräfte, die eigenen Methoden und die eigene Intelligenz vertraute, endete das darin, die Übel, die man überwinden wollte, noch zu vermehren und aufrechtzuerhalten" (Schreiben an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland, 29. Juni 2019, Nr. 6).

Die Apostel ermahnen uns heute, danach zu fragen, ob wir wirklich der göttlichen Gnade erlauben, unsere Wege zu leiten, indem wir fügsam hören, was der Geist der Kirche sagt, oder ob wir nur davon reden. Gottes Werk schlägt dort Wurzeln, wo es jene Eigenschaften gibt, die Gott liebt und welche die Schrift vielfältig bezeugt: Demut und Gehorsam, Bekehrung, Gebet und Fasten, Anerkennung der eigenen Armut und Wunsch, das Reich Gottes vor allem durch die Nachahmung des Herrn zu verkünden, sogar indem man sich der materiellen Sicherheiten beraubt, welche die sanftmütige und prophetische Kraft des Evangeliums behindern.

Die Sorge für die ganze Kirche

Kurz gehe ich auf das zweite theologisch-spirituelle Fundament ein, das die beiden Apostel verbindet: Die Sorge für die ganze Kirche. Dies war die tägliche Sorge des Paulus (vgl. 2 Kor 11,28), die alle anderen Gefühle überwog. Ähnlich war es mit dem „geistlichen Testament", das Petrus von Jesus empfing: Nachdem seine Netze mit so vielen Fischen gefüllt war, wie man zu dieser Zeit Völker zu kennen meinte, sagte der Herr zu ihm: „Weide meine Schafe" (Joh 21,17). Die Berufung, das Herz im Dienst an allen Brüdern und Schwestern zu weiten, hat das Leben beider Apostel tief geprägt; so sehr, dass nicht nur jede Versuchung, sondern auch ihre anthropologischen und charakterlichen Unterschiede, die sie ja prägten, zweitranging sind.

Auch wir sind aufgefordert, die kirchliche Gemeinschaft im authentisch katholischen Sinne wertzuschätzen, nämlich universal. Wiederum beziehe ich mich auf das Schreiben des Heiligen Vaters an die Kirche in Deutschland, wenn er mahnt, „die Gemeinschaft mit dem ganzen Leih der Kirche immer lebendig und wirksam zu erhalten. Das hilft uns, die Angst zu Überwinden, die uns in uns selbst und in unseren Besonderheiten isoliert". Der Papst führt näher aus: „Das bedeutet nicht, nicht zu gehen, nicht voranzuschreiten, nichts zu ändern und vielleicht nicht einmal zu debattieren und zu widersprechen, sondern es ist einfach die Folge des Wissens, dass wir wesentlich Teil eines größeren Leibes sind, der uns beansprucht, der auf uns wartet und uns braucht, und den auch wir beanspruchen, erwarten und brauchen. Es ist die Freude, sich als Teil des heiligen und geduldigen treuen Volkes Gottes zu fühlen" (Schreiben an das Pilgernde Volk Gottes in Deutschland, Nr. 9).

Und es ist der Wunsch des Herrn, dass wir Ihm nicht nur auf Seinem Weg folgen, sondern miteinander unterwegs sind, in einer Synode, gemäß der wörtlichen Bedeutung des Begriffes, und dabei die Versuchung überwinden, dass sich das Miteinander auf nur einen bestimmten Teil reduziert, so relevant und bedeutsam er auch sei. Das ist ein Weg, der „im Hören auf den Bischof von Rom (gipfelt), der berufen ist, als Hirte und Lehrer aller Christen zu sprechen: nicht von seinen persönlichen Überzeugungen ausgehend, sondern als oberster Zeuge der fides totius Ecclesiae [des Glaubens der gesamten Kirche], als Garant des Gehorsams und der Übereinstimmung der Kirche mit dem Willen Gottes, mit dem Evangelium Christi und mit der Überlieferung der Kirche" (Franziskus, Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode, 17. Oktober 2015).

Wir folgen dem Beispiel der Apostel, die sich voneinander unterscheiden, aber durch die Gnade, die Gott in ihre Herzen ausgegossen hat, immer wieder zur Gemeinschaft geführt wurden, was sich durch eine fürsorgliche und ständige Hinwendung zu den Brüdern und Schwestern ausgezeichnet hat, so bitten wir um die Gabe der Weisheit, wie man die Einheit pflege und gestalte. Vor allen Visionen und einzelnen Bedürfnissen muss die Gemeinschaft den Vorrang haben.

Primat der Gnade und Sorge für die ganze Kirche; Petrus und Paulus teilten das Unvorhersehbare: die Erfahrung eines Gottes, der ihre Vorhaben radikal veränderte und sie dazu brachte, ihren Horizont auf unvorstellbare Weise zu erweitern. All dies wurde durch ihre Fügsamkeit möglich: Sie ließen sich vom Geist formen, der ihr Herz erweiterte.

Bitten wir auf die Fürsprache der Heiligen, die wir feiern, und der seligen Jungfrau Maria, der Königin der Apostel, um die Gnade eines demütigen Herzens. Und dies bleibt der immer gültige Weg, zu dem Gott uns aufruft, Ihm den Weg zu bereiten, damit er komme und in unserer Mitte wohne. Amen.

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