Predigt von Nuntius Eterovic am 16. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 17. Juli 2022
(Gen 18,1-10; Ps 15; Kol 1,24-28; Lk 10,38-42)
„Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden“ (Lk 10,42).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort Gottes des 16. Sonntags im Jahreskreis thematisiert die Gastfreundschaft. Abraham, unser Vater im Glauben, empfängt drei Fremde (I), die Schwestern Marta und Marta hingegen nehmen Jesus Christus auf (II). Die Gastfreundschaft ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen wie religiösen Lebens und muss daher im Licht der Offenbarung reflektiert werden, die ihren Höhepunkt in der Person Jesu Christi hat. Erlauben wir dem Heiligen Geist, den wir in der Taufe empfangen haben und der uns im Sakrament der Firmung gestärkt hat, dass er uns zu einem tieferen Verständnis der Lehren des Alten und Neuen Testamentes führt.
1. „Siehe, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben“ (Gen 18,10).
In der ersten Lesung aus dem Buch Genesis haben wir die wunderbare Erzählung von der Gastfreundschaft Abrahams gegenüber drei unbekannten Personen „bei den Eichen von Mamre“ (Gen 18,1) gehört. Im Sommer verstehen wir gut, wie schwer erträglich ein heißes Klima sein kann, vor allem in Wüstenregionen wie dem Mittleren Osten. Wenn die Sonne hoch am Himmel steht und über die Natur herrscht, ist es für den Menschen besser, sich in den Schatten zurückzuziehen und auszuruhen. So saß Abraham an einem heißen Tag, „in der Hitze des Tages“ (Gen 18,1), also wohl zur Mittagszeit am Eingang seines Zeltes, als ihm der Herr erschien (vgl. Gen 18,1). Die von Abraham gemachte Erfahrung ist sehr bedeutsam und ist immer wieder Gegenstand tiefer Überlegungen und Meditationen. „Er erhob seine Augen und schaute auf, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Als er sie sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes aus entgegen, warf sich zur Erde nieder und sagte: Mein Herr, wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, geh doch nicht an deinem Knecht vorüber“ (Gen 18,2-3). Abraham lud die Männer ein, sich unter den Eichen auszuruhen; er bot ihnen Wasser an, um die strapazierten und vom Staub schmutzigen Füße zu waschen und bereitete mit Hilfe seiner Frau Sara ein Essen zu. Die Begegnung des Abraham mit den drei Männern endet mit einer völlig überraschenden Ansage, denn der Herr sprach: „In einem Jahr komme ich wieder zu dir. Siehe, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben“ (Gen 18,10). Die Gastfreundschaft des Abraham brachte ihm Segen. Denn sie wurde zur Gelegenheit der großen Ankündigung an Abraham und Sara, dass sie einen Sohn und Erben haben sollten, nachdem sie es aufgegeben hatten, darauf zu warten, denn sie waren zu alt geworden, um noch nach den Gesetzen der Natur Nachwuchs zeugen zu können.
Die Erzählung ist vor allem wegen der Beschreibung der Männer besonders. Einmal ist im Plural von ihnen die Rede, an anderer Stelle wird im Singular von nur einer Person gesprochen. Mit Bezug auf Kapitel 19 der Genesis könnte eine Erklärung sein, dass von JHWH die Rede ist, der von zwei Engeln begleitet wird (vgl. Gen 19,1). In der Tradition der Väter hingegen wird der Wechsel der Verbformen zwischen einem und drei im Sinne des christlichen Geheimnisses der Allerheiligsten Dreifaltigkeit gedeutet, ein Gott in drei göttlichen Personen. In jedem Fall aber wurde die Gastfreundschaft Abrahams gegenüber den drei Personen in der jüdischen wie christlichen Tradition zum Vorbild. Seine Großzügigkeit war Gott wohlgefällig und Abraham und seine Familie haben Segen empfangen. In der Konsequenz ist die Gastfreundschaft eine Tugend, die es zu üben gilt, insofern uns in jedem Menschen, der Hilfe braucht, die Gegenwart Gottes begegnet. Wir vergessen daher nicht, was der Herr Jesus versichert hat: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Wie viele Gelegenheiten bieten sich uns in dieser Welt, diese Tugend zu üben? Es genügt an die vielen ukrainischen Flüchtlinge zu denken, die ihre Heimat wegen der tragischen Invasion der Russischen Föderation verlassen haben.
2. „Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden“ (Lk 10,42).
Im heutigen Evangelium nehmen Marta und Maria Jesus in ihrem Haus in Betanien auf. Die beiden Schwestern haben einen Bruder, Lazarus, der ebenfalls ein Freund Jesu ist. Sicher, Er ist der Gast, um den man sich kümmern muss und dem man etwas zu essen und zu trinken anbietet. Marta ist vor allem mit diesem Dienst beschäftigt, so dass sie nicht aufmerksam hört, was Jesus sagt. Im Gegensatz dazu ist Maria ganz bei der Lehre Jesu und lässt Marta mit den praktischen Dingen und dem Dienst im Haus allein. Die beiden Frauen stehen wir unterschiedliche Gaben der Einfühlung. Die geschäftige Marta, die aktive, will Jesus gut umsorgen und kümmert sich um jede Kleinigkeit. Maria hingegen ist mehr in sich gekehrt und begreift die Bedeutsamkeit der Gegenwart des Herrn und seiner Worte, die bei ihr auf fruchtbaren Boden fallen. Angesichts der kritischen Bemerkung von Marta über Maria: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen“ (Lk 10,40) gibt Jesus Maria recht und tadelt Marta, wenn er sagt: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden“ (Lk 10,41-42). Marta muss lernen, dass ein Gast nicht allein nur bedient werden soll sondern auch als Person wahrgenommen werden will, was einschließt, sich zu ihm zu setzen und zuzuhören, was er zu sagen hat, und auf diese Weise seine Erfahrungen zu teilen und in seine Lebensgeschichte mit Höhen und Tiefen, Freud und Leid, Hoffnung und Enttäuschung einzutreten. Diesbezüglich hat sich Maria von Jesus führen lassen. Er hat sie, die ihn in ihr Haus aufgenommen hat, auf geistliche Weise in sich aufgenommen, indem er sie lehrt und ihr das Wort des Lebens schenkt, das nur Er geben kann (vgl. Joh 6,68).
Die Haltungen von Marta und Maria bilden so etwas wie die zwei Seiten des christlichen Lebens. Vereinfacht gesagt, steht Marta für das aktive Leben, während Maria das kontemplative vertritt. Beide sind für das Leben der Kirche wichtig, müssen aber jeweils in rechter Weise ausgeübt werden und von wahrhaft christlichem Geist sein. Das geschieht, wenn das aktive Leben von jenem des kontemplativen durchdrungen wird und umgekehrt, wenn das kontemplative Leben Anteil hat an den notwendigen Dingen des aktiven Lebens.
In unserem Alltagsleben sind wir eher Marta ähnlich. Auch wir wollen möglichst alles in unserem Leben bis ins Letzte planen und religiös motiviert jeden Tag, die Woche, wie auch den Monat oder gar das ganze Jahr organisieren. Wir sind damit oft so sehr beschäftigt, dass wir kaum Zeit zur Ruhe haben, nur wenige Momente der Stille finden für uns selbst, damit wir für unsere Familien und Freunde oder Menschen, die unsere Nähe brauchen, verfügbar bleiben, wie auch wir ihre Gesellschaft nötig haben. Um diesen hektischen Lebensstil zu ändern, wollen wir damit beginnen, den Sonntag, den Tag des Herrn in christlicher Weise zu begehen. Nehmen wir andächtig und möglichst als Familie an der Feier der Heiligen Messe teil, hören wir aufmerksam das verkündete Wort Gottes, das sodann vom Priester ausgelegt wird. Suchen wir, unsere Zeit mit der Familie zu verbringen, sei es bei den Mahlzeiten zuhause oder sei es bei den gemeinsamen Ausflügen, um die Schönheit der Natur zu entdecken. Die Ferien sind nahe und bieten somit eine gute Gelegenheit, diesen neuen menschlichen wie christlichen Lebensstil zu üben, bei dem Gott immer den ersten Platz in unserem persönlichen, familiären und sozialen Leben einnehmen möge.
Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir unsere Überlegungen der mächtigen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche, die uns alle als ihre Kinder angenommen hat. Sie möge für uns beim dreieinen Gott die Gabe der Gastfreundschaft nach dem Beispiel des Abraham, von Maria und ihrer Schwester Marta, wie auch ihrem Bruder Lazarus erflehen, damit jeder von uns jene Worte des Lebens aufnehme, die der Herr spricht: „Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden“ (Lk 10,42). Amen.