Predigt von Nuntius Eterovic am 16. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 19. Juli 2020
(Jes 55,10-11; Ps 65; Röm 8,18-23; Mt 13,1-23)
„Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen!“ (Mt 13,3).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Gleichnis vom Sämann ist uns gut bekannt. Es verlangt aber nach unserer Aufmerksamkeit, denn es bleibt immer aktuell. Es ist eine Sache, das Gleichnis zu kennen, doch eine andere, die Intention seiner Botschaft in die Praxis umzusetzen. Im Vers zum Halleluja finden wir den Schlüssel zum Lesen des Gleichnisses: „Der Samen ist das Wort Gottes, der Sämann ist Christus. Wer Christus findet, der lebt in Ewigkeit“. Der Same ist klein, hat aber in sich alle Möglichkeit zur Entwicklung, um einem großen und starken Baum das Leben zu geben. Ebenso ist es mit dem Wort Gottes. Es bedient sich menschlicher Worte, enthält aber eine außergewöhnliche Kraft, die imstande ist, unser persönliches, kirchliches und soziales Leben umzugestalten. Das bezeugen insbesondere die Heiligen, die den Samen des Wortes Gottes aufgenommen und ihm erlaubt haben, in ihnen zu einem robusten Baum zu werden, fähig, den Hindernissen und unausweichlichen Schwierigkeiten des Lebens zu widerstehen. Daher hängt die Wirksamkeit des Samens auch von unserer Annahme ab. Das kann mit den vier Bildern beschrieben werden, die Jesus im Gleichnis aufzeigt. Verweilen wir kurz bei der Beschreibung der vier Erdbereiche: der Weg (I); der felsige Boden (II); die Dornen (III) und der gute Boden (IV).
1. „Ein Teil der Körner fiel auf den Weg“ (Mt 13,4).
Der Sämann, Jesus, erläutert die Bedeutung dieses Bildes: „Zu jedem Menschen, der das Wort vom Reich hört und es nicht versteht, kommt der Böse und nimmt weg, was diesem Menschen ins Herz gesät wurde; bei diesem ist der Samen auf den Weg gefallen“ (Mt 13,19). Das Samenkorn, das auf den Weg fällt, begegnet einer harten, unwirtlichen Erde. Es fehlt der Boden, um sich darin einzupflanzen und Wurzeln zu schlagen. Das Bild bezieht sich auf die Oberflächlichkeit des Hörens bei Menschen, die das Wort Gottes zwar physisch mit den Ohren hören, doch das Herz bleibt hart und nicht aufnahmebereit. Nach Jesus handelt es sich dabei um den Einfluss des Bösen, des Satans, der gegen das Wort Gottes handelt, es aus einem harten menschlichen Herzen raubt. Jesus selbst hat das Drama der Verweigerung, ihn zu hören, erlebt. Seine Enttäuschung kann man auch im heutigen Evangelium erfassen, wenn er den Propheten Jesaja zitiert (vgl. Jes 6,9-10), um sich auf diese Menschen mit folgenden Worten zu beziehen: „Denn das Herz dieses Volkes ist hart geworden. Mit ihren Ohren hören sie schwer und ihre Augen verschließen sie, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören und mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen und sich bekehren und ich sie heile“ (Mt 13,15). Die Ablehnung des Wortes Gottes ist nicht gleichgültig: der Mensch wird antworten müssen und dasselbe Wort wird ihn richten, wie Jesus Christus lehrt: „Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich gesprochen habe, wird ihn richten am Jüngsten Tag“ (Joh 12,48).
Wenn wir uns die statistischen Daten der Zahl der Christen weltweit, in Europa und in Deutschland vor Augen halten, so ist festzuhalten, daß sich viele Menschen in dieser Kategorie befinden.
2. „Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden“ (Mt 13,5).
Der Herr warnt vor der Zukunft eines solchen Samens, der nicht genug Boden findet, um Wurzeln zu schlagen, und daher unter der Sonne schnell vertrocknet (vgl. Mt 13,5-6). Die Erklärung Jesu ist für uns sehr lehrreich: „Auf felsigen Boden ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort hört und sofort freudig aufnimmt; er hat aber keine Wurzeln, sondern ist unbeständig; sobald er um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt wird, kommt er sofort zu Fall“ (Mt 13,20-21). Mit den Worten Jesu erfasst man den Wortsinn sogleich. Es bezieht sich auf die Annahme des Worte: „sofort wird es freudig aufgenommen“, wie auf das Abfallen, „sobald er um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt wird“, was jede Art von Schwierigkeit meint. Jesus beschreibt mit diesen Worten die charakterliche Schwäche dieser Personen. Er hat persönlich ähnliche Unbeständigkeit bei den Leuten erlebt. Denken wir nur an seinen triumphalen Einzug in Jerusalem, wo die Menge ihm freudig zujubelte (vgl. Joh 12,12-13) und an den Prozess, wo die gleichen Leute, von den Führern manipuliert, schrien: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn! (Joh 19,6.15).
3. „Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen“ (Mt 13,7).
Die Saat wächst zusammen mit den Dornen, doch die Dornen sind stärker und ersticken die guten Pflanzen. Der Herr führt aus: „In die Dornen ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort hört, und die Sorgen dieser Welt und der trügerische Reichtum ersticken es und es bleibt ohne Frucht“ (Mt 13,22). Das Bild bezieht sich auf Menschen mit vielerlei, sich oft widerstreitenden Interessen. Diese Interessen lenken ihn davon ab, daß der Saat die volle Aufmerksamkeit gehören muss, und folglich ersticken sie das Wort Gottes. Es handelt sich dabei um die gewöhnlichen Interessen eines jeden Menschen, die Versuchungen des Reichtums, der Macht und der Vergnügungen. Gibt man diesen Haltungen zu viel Raum, verliert der Mensch den Geschmackssinn für Gottes Wort und letztlich ersticken die Dornen die zarte Pflanze des Glaubens. Vor diesem Verhalten hat Jesus seine Jünger oft gewarnt. Nachdrücklich unterstreicht er beispielsweise: „Kein Sklave kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Lk 16,13).
Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen erkennen, daß auch für uns hier, die wir jeden Tag das Wort Gottes hören und uns nach Kräften bemühen, es immer besser zu erfüllen, diese Versuchung stets aktuell ist.
Der Herr Jesus warnt uns davor, die Wertmaßstäbe zu verwechseln und nicht zu vergessen, Ihm und seinem Reich den ersten Platz einzuräumen. Die anderen Tätigkeiten sozialer und caritativer Natur müssen in der Konsequenz unseres christlichen Glaubens geschehen. Der Glaube an den dreieinen Gott, den uns Jesus Christus offenbart hat, muss alles, was uns im Leben wertvoll erscheint, erleuchten. Der Christ darf den Dornen nicht gestatten, seinen Glauben zu ersticken, sondern muss sie vielmehr im Blick behalten und nach Möglichkeit ausrotten.
4. „Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden“ (Mt 13,8).
Allein dieser auf guten Boden gesäte Samen wird Frucht bringen, „hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach“ (Mt 13,23). Die Zahlen, die der Meister zweimal nennt, beziehen sich auf die Gaben, die jeder empfangen hat. In einem anderen Zusammenhang spricht Jesus von den Talenten (vgl. Mt 25,14-30). Gott gibt die Gaben und Charismen nach seinen Kriterien und erwartet, daß der Mensch mit Ihm zusammenarbeitet, um die empfangenen Gaben fruchtbar zu machen. Der Herr Jesus beschreibt sodann den guten Boden, das heißt die Menschen, die eine positive Haltung gegenüber dem Samen, dem Wort Gottes einnehmen, was mit drei Worten zum Ausdruck kommt: hören, annehmen, Frucht bringen. Wir haben also nichts anderes als das Programm für jeden Christen, der gerufen ist, Jünger Jesu Christi zu sein.
Das ist nicht unmöglich zu verwirklichen. Das zeigt nicht allein die selige Jungfrau Maria, die voller Gnade ist (vgl. Lk 1,28), sondern alle Heiligen, die das Wort Gottes hörten, es bedacht und in die Tat umgesetzt haben, geben davon Zeugnis. Vertrauen wir unseren Willen, die Saat des Wort Gottes anzunehmen und unter der Führung des Heiligen Geistes fruchtbar werden zu lassen, ihrer Absicht an. „Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen“ (Mt 13,3). Öffnen wir Ihm unsere Herzen, um fruchtbar in den Erträgen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu werden. Amen.