Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Ostersonntag

Apostolische Nuntiatur, 28. April 2024

(Apg 9,26-31; Ps 22; 1 Joh 5,18-24; Joh 15,1-8)

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben … getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5).

Liebe Schwestern und Brüder!

Wer in dieser Frühlingszeit die Möglichkeit hat, das Erwachen eines Weinstocks zu beobachten, sei es in einem Weinberg oder Garten, der versteht leicht die Sprache des Herrn Jesus, die uns an diesem fünften Ostersonntag in der Liturgie entgegentönt. Das Bild vom Weinstock ist in der Bibel sehr verbreitet und findet sich sowohl im Alten, wie auch im Neuen Testament. Öffnen wir uns dem Heiligen Geist, den der auferstandene Herr in Fülle jenen schenkt, die an Ihn glauben (vgl. Joh 3,34), und suchen wir die Bedeutung des Wortes Jesu zu erfassen, der sich uns als Weinstock präsentiert (I) und uns als Reben bezeichnet, die nur in der unverzichtbaren Einheit mit Ihm reiche Frucht bringen können (II).

1. „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer“ (Joh 15,1).

Mit dieser Symbolsprache zeichnet Jesus das Bild innerhalb dessen die Wirklichkeit zu verorten ist, wofür das Gleichnis von Weinstock und Reben steht. Der auferstandene Herr und Sieger über Sünde und Tod ist der wahre Weinstock. Wir, seine Jünger, sind die Reben. Doch jener, der für den ganzen Weinberg Sorge trägt, ist sein Vater. Dank der Offenbarung des Herrn Jesus wissen wir, dass sein Vater auch unser Vater ist, an den wir uns im Gebet wenden können. Denken wir an das wunderschöne Gebet: „Vater unser im Himmel“ (Mt 6,9-13). Somit sorgt Gottvater auch für uns Rebzweige, die wir eins sind mit dem Herrn Jesus, wie eben die Reben mit dem Weinstock eins sind. Der auferstandene Jesus mit seinem verklärten Leib sammelt uns alle als Reben zu einem einzigen Weinstock, der uns mit dem Lebenselixier versorgt, ohne das es kein christliches Leben gibt.

Nach der Lehre Jesu, versieht Gottvater eine doppelte Funktion. Die erste bezieht sich auf das Abschneiden der vertrockneten Reben: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab“, während sich die zweite Funktion auf das Beschneiden bezieht, denn „jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,2). Diese symbolischen Ausdrücke verstehen sich leicht. Vor allem die Aussage, dass der Vater Jesu und unser Vater die vertrockneten Rebzweige abschneidet, die das Wachstum des Weinstocks behindern und die keinerlei Frucht mehr bringen. Die abgeschnittenen Zweige werden sodann gesammelt und verbrannt (vgl. Joh 15,6). Schwieriger dürfte sein, auch wenn wir den zweiten Teil der Aussage verstehen, die Notwendigkeit des Beschneidens jeder lebenden Rebe, die Frucht bringt, anzunehmen. Ziel der Beschneidung ist die Hoffnung, dass die beschnittene Rebe mehr Frucht zu bringen imstande ist. Solche Phänomene begleiten uns tatsächlich im menschlichen, wie im geistlichen Leben. Es ist nötig, die Haare oder die Nägel zu schneiden und zu waschen oder den Bart entsprechend zu pflegen, um sich angemessen in Gesellschaft zu zeigen. Dies ist ein Bild, das auch auf geistlichem Gebiet Anwendung findet. Die Herausforderungen des Lebens, auch die einer kirchlichen Gemeinschaft, bieten Gelegenheiten für eine solche geistliche Reinigung oder Beschneidung. Viele Heilige hatten zahlreiche und schwierige Prüfungen auf ihrem Weg zur christlichen Vollkommenheit zu bestehen; nicht allein Krankheiten und Probleme physischer Natur, sondern auch viele schmerzhafte geistliche Prüfungen, wozu die Glaubenszweifel gehören oder die Erfahrungen mit dem göttlichen Schweigen, aber auch falsche Anschuldigungen, Verleumdungen oder das Unverständnis von Oberen, der Neid der Mitglieder der jeweils eigenen Gemeinschaft etc. Sie aber wussten diesen Schwierigkeiten mit dem Geist des Evangeliums zu begegnen und konnten sie schließlich überwinden; somit halfen die Prüfungen im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen. Sie haben nach dem Rat des Fürsten der Apostel gehandelt: „Es ist besser, für gute Taten zu leiden, wenn es Gottes Wille ist, als für böse“ (1 Petr 3,17). Der heilige Petrus lädt uns ein, hierbei dem Beispiel des Herrn Jesus zu folgen, denn er „ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, ein Gerechter für Ungerechte, damit er euch zu Gott hinführe, nachdem er dem Fleisch nach zwar getötet, aber dem Geist nach lebendig gemacht wurde“ (1 Petr 3,18).

„Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“ (Joh 15,5).

Jesus der Weinstock ermuntert uns dazu, Reben zu sein, lebendige Rebzweige, die zu ihrer Zeit Frucht bringen. Um diese Berufung zu verwirklichen, ist es notwendig, engstens mit dem Herrn vereint zu sein, dem wahren Weinstock: „Bleibt in mir und ich bleibe in euch“ (Joh 15,4). Diese Einheit ist nötig, um überhaupt Frucht zu bringen. Ohne Jesus bleiben unsere Initiativen, unser Tun und unsere Projekte steril und bringen nicht die erhofften Früchte. Jesus sagt das klar: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Daher muss bei all unserem Tun zur Evangelisierung, bei der Verkündigung der guten Nachricht und der Förderung des Menschen, das heißt bei jeder Anstrengung, jenen zu helfen, die Hilfe nötig haben, also in wirklich allem muss Jesus den ersten Platz einnehmen und muss uns jederzeit mit seiner Gnade und seinem Wort begleiten. „Denn lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (Heb 4,12). Er selbst hat gesagt: „Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe“ (Joh 15,3). Gegründet auf diesem soliden Fundament, können wir auf unserem Weg eines christlichen Lebens voranschreiten. Hierbei helfen uns die Sakramente sehr, die der Herr seiner Kirche anvertraut hat. Nur in der tiefen Einheit mit dem Herrn Jesus können die Christen reiche Frucht bringen.

Das Wort Gottes, das wir gehört haben, betonen besonders die vier Früchte, die aus unserer Einheit mit Jesus erwachsen, aus dem vitalen Zusammenhang der Reben mit dem Weinstock. Dabei handelt es sich vor allem um den Glauben, die Liebe, das Zeugnis und die Wirkmacht des Gebetes.

-Der Glaube. Die Lesung aus dem ersten Brief des heiligen Apostels Johannes betont das große Gebot Jesu Christi: „Und das ist sein Gebot: Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben gemäß dem Gebot, das er uns gegeben hat“ (1 Joh 3,23). Der Glaube öffnet den Zugang zum dreieinen Gott und lässt uns die Wichtigkeit der brüderlichen Liebe stets neu entdecken, vor allem zu den Menschen, die unsere geistliche und materielle Unterstützung nötig haben.

-Die Liebe. Nach dem Apostel, den Jesus liebte, ist der Glaube immer mit den Werken verbunden: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“ (1 Joh 3,18). Hierzu schreibt auch der heilige Paulus, worauf es im christlichen Leben ankommt, was bedeutet: „Der Glaube, der durch die Liebe wirkt“ (Gal 5,6).

-Das Zeugnis. Im Abschnitt der Apostelgeschichte haben wir das Ergebnis der Bekehrung des bis dahin die Christen verfolgenden Saulus zum Paulus wahrgenommen, der zu einem der größten Verbreiter des Evangeliums in der Geschichte der Christenheit geworden ist. Viele andere Heilige haben mehr mit dem Beispiel ihres christlichen Lebens gesprochen, als sie es mit Worten getan haben, die jedoch notwendig sind, um den Grund unserer Hoffnung jedem zu erklären, der danach fragt (vgl. 1 Petr 3,15).

-Die Wirkmacht des Gebetes. Der Herr Jesus hat versichert: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten“ (Joh 15,7). Auch bei anderer Gelegenheit hat Jesus seine Jünger ermuntert, sich vertrauensvoll an Gottvater zu wenden: „Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet“ (Mt 7,7). Eins als Reben mit dem Weinstock Jesu Christi haben wir direkten Zugang zum Vater in der Gnade des Heiligen Geistes, und daher wird jedes unserer Gebete, welches das Lob Gottes zum Ziel hat und in der Liebe zum Nächsten authentisch wird, erhört.

Vertrauen wir unsere Überlegungen der mächtigen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Königin des Himmels, damit sich in uns und durch uns in der Kirche das Wort des Herrn Jesus verwirklichen kann: „Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet“ (Joh 15,8). Amen.

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