Predigt von Nuntius Eterovic am 6. Sonntag im Jahreskreis

Berlin, 16. Februar 2020

(Sir 15,15-20; Ps 119; 1 Kor 2,6-10; Mt 5,17-37)

„Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“(Mt 5,17).

Liebe Schwestern und Brüder!

Das heutige Evangelium ist wiederum dem fünften Kapitel des Matthäusevangeliums entnommen und somit aus der Bergpredigt. Die Lehre des Herrn Jesus ist zu allen Zeiten bedeutsam für seine Jünger. Deswegen betrifft sie auch uns persönlich und als Glieder der Kirche. Jesus Christus gibt das wahre Kriterium an, um seine Lehre zu verstehen: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“ (Mt 5,17). Das Gesetz und die Propheten, jene beiden großen Säulen der jüdischen Bibel, werden oft genannt, um auf das ganze Alte Testament hinzuweisen. Jesus achtet auf den Wortlaut der Schrift und versichert: „Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist“ (Mt 5,18). Er unterstreicht aber auch, daß eine nur äußere Beachtung des Gesetzes und der Propheten nicht genügt. Daher sagt er: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 5,20). Die Lehre Jesu setzt eine der Bibel eigene Konzeption der menschlichen Person voraus, wie sie in der ersten Lesung aus dem Buch Jesus Sirach beschrieben wird (I). Sodann gibt Jesus die Kriterien für das rechte Verständnis seiner Botschaft an (II) und betont unsere Verantwortlichkeit (III).

1. Die Freiheit des Menschen

Gott hat den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen (vgl. Gen 1,26-27; 5,1-2). Am ähnlichsten ist der Mensch seinem Schöpfergott in der Freiheit und somit in der Verantwortlichkeit, die mit dem Vernunftgebrauch verbunden ist. Diese Gaben sind der menschlichen Person eigen im Unterschied zu den Tieren, die von Instinkten gesteuert werden. Der Mensch ist sich der Freiheit bewußt, die er empfangen hat und die er in der Unterscheidung von Gut und Böse ausüben soll, vor allem aber in der Umsetzung der Gebote Gottes. „Vor den Menschen liegen Leben und Tod, was immer ihm gefällt, wird ihm gegeben“ (Sir 15,17). JHWH hat dem Menschen „Feuer und Wasser vorgelegt, was immer du erstrebst, danach wirst du deine Hand ausstrecken“ (Sir 15,16). Der Mensch ist fähig, das Wasser zu wählen, das die Eigenschaft hat, Leben wachsen zu lassen. Wasser erhält nicht nur die Pflanzen am Leben, sondern auch den Menschen. Er kann aber auch das Feuer vorziehen, das in kurzer Zeit alles verbrennen kann, Dinge, aber symbolisch auch Personen. Feuer könnte man den Drogenkonsum nennen, der leider auch heute noch immer sehr aktuell ist. Zu Beginn bringt er Ekstase und Illusionen von Glück, doch nach und nach tötet er die Persönlichkeit dessen, der Drogen nimmt, und seine Beziehungen in Familie und Gesellschaft. An diesen Menschen, der frei und verantwortlich geschaffen worden ist, richtet Jesus sein Wort des Lebens.

2. Die Freiheit des Herzen

Der Herr Jesus kritisiert die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht deswegen, weil sie das Gesetz und die Propheten achten, sondern weil ihr Tun äußerlich bleibt und nicht ihr Herz erreicht. Er hingegen dringt in die Tiefe des menschlichen Herzens vor und möchte die schlechten Neigungen im Keim ersticken bevor sie sich in bösen Taten zeigen und Schlechtes bewirken. Hier handelt es sich um eine Konstante der Lehre Jesu, die wir im Abschnitt des heutigen Evangeliums gehört haben. Wir untersuchen das lediglich an der ersten Erklärung Jesu über das Gebot: „Du sollst nicht töten“. Seine Worte richten sich an die frommen Juden, die den Dekalog gut kennen, wie auch die Konsequenzen, die das Gesetz bei Übertretung vorsieht, nämlich daß der Täter also dem Gericht überstellt werden muss (vgl. Mt 5,21). Jesus verneint die Vorschrift des Gesetzes nicht, sondern er vertieft vielmehr seine Bedeutung. Das Gesetz dient nicht allein dazu, die äußeren Akte zu beurteilen, sondern es erzieht den Menschen dazu, wie er sich zu seinem Gegenüber zu verhalten hat. Daher zeigt Jesus, daß man einen Menschen auch mit Worten töten kann, durch Verleumdung und falsches Zeugnis. Man muss daher Worte meiden, die den Nächsten verletzen. Das geschieht, wenn wir jemanden mit Worten beschimpfen und ihn verächtlich und wütend dumm oder verrückt nennen. Diese Adjektive sind im biblischen Zusammenhang wohl so zu verstehen, daß an der Brust der Religion die Gottlosigkeit genährt wird, was zutiefst besorgniserregend ist. Gemäß Jesus dürfen wir uns nicht in dieser Weise an den Nächsten wenden, indem wir ihn richten. Er warnt daher: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ (Mt 7,1).

Es ist bedeutsam, daß Jesus in der Betrachtung über das Gebot: „Du sollst nicht töten“ die Beziehungen zum Nächsten vertiefend in den Blick nimmt. Er will zeigen, daß die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten miteinander verbunden sind und Teil des obersten Gebotes des Gesetzes sind (vgl. Mt 22,35-40). Aus diesem Grund mag Gott die Opfergabe eines Menschen nicht, der im Streit mit seinem Nächsten liegt. „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe“ (Mt 5,23-24). Mit reinem und friedlichem Herzen soll man Gott seine Opfergabe darbringen. Der Psalmist bezeugt: „Schlachtopfer für Gott ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen“ (Ps 51,19). In seiner Reflektion bietet der Jesus auch praktische Ratschläge, die helfen, Frieden mit einem Gegner zu schließen. Auch diese Haltung gehört zur Freiheit und Rationalität des Menschen. Wenn nicht aus religiösen Motiven, so ist der Mensch dennoch angehalten, über die möglichen Konsequenzen eines Gerichtsprozesses nachzudenken (vgl. Lk 12,58). Nach der Auffassung des Meisters ist es besser, „ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner zu schließen, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen“ (Mt 5,25). Auf diese Weise entgeht man einer schweren Strafe (vgl. Mt 5,26).

3. Die Verantwortung des Menschen

Ähnliches lehrt Jesus mit Blick auf die Gebote: „Du sollst nicht ehebrechen“ oder „schwöre keinen Meineid“, wie auch auf symbolische Weise in der Empfehlung, die Hand abzuschlagen oder das Auge rauszureißen, um der Möglichkeit der Verführung zum Bösen zu entgehen. Der Herr Jesus will uns zum Verständnis des Gesetzes und seiner Umsetzung in die Tat führen, das sich nicht in äußerem Tun erschöpft, sondern uns zur Wurzel von Gehorsam und Ungehorsam bringt und damit zur rechten Haltung, das Gesetz anzunehmen und zu handeln, ohne in Sünde zu fallen. Der Mensch bleibt frei, das Gute oder das Böse zu wählen. Wahrhaft frei wird er jedoch, wenn er das Gute wählt, das in letzter Hinsicht Gott meint und die Wahl des höchsten Guten. Er kann jedoch auch das Böse wählen. Hierin besteht das Drama der menschlichen Freiheit. Sie kann durch verschiedene Faktoren eingeschränkt werden, welche beispielsweise biologische Bedingungen sind oder Ignoranz und Angst, Leidenschaften und Gewohnheiten. Die Freiheit des Menschen aber bleibt, weswegen jede Person für seine Taten vor Gott und den Menschen verantwortlich ist.

Liebe Brüder und Schwestern, angesichts der Berufung zur Freiheit, die der menschlichen Person eigen ist, erkennen wir unsere Schwächen, Grenzen und unsere Sündhaftigkeit. Wir sind bewußt, daß wir allein auf uns gestellt das Wort Gottes, das wir gehört haben, nicht erfüllen können. Wir haben die Gnade des dreieinen Gottes, das Beispiel und die Fürsprache der Heiligen, vor allem der seligen Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche, nötig. Sie hat frei den Willen Gottes angenommen und wurde die Mutter Jesu, ihres und unseres Heilands. Sie möge uns helfen, immer besser seine Worte zu verstehen und in die Tat umzusetzen: „Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“ (Mt 5,17). Amen.

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