Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Ostersonntag
Apostolische Nuntiatur, 2. Mai 2021
(Apg 9,26-31; Ps 22; 1 Joh 3,18-24; Joh 15,1-8)
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5).
Liebe Schwestern und Brüder,
am vergangenen Sonntag haben wir das bekannte Bild von Jesus als Guter Hirte betrachtet. Heute am fünften Ostersonntag legt die Kirche das Bild vom Weinstock zur Betrachtung vor, das in der Bibel weit verbreitet ist. Wir öffnen uns der Gnade des Heiligen Geistes, den der auferstandene Herr in Fülle denen schenkt (vgl. Joh 3,34), die an ihn glauben, und hören nochmals das Wort des Meisters, der sich als Weinstock präsentiert (I), und suchen zu verstehen, was es für uns bedeutet, Reben zu sein (II). Diese Lehre wollen wir sodann auf unser Leben zu übertragen, wobei wir uns auf die Erfahrungen der beiden angesehenen Apostel Johannes und Paulus beziehen (III).
1. „Ich bin der wahre Weinstock“ (Joh 15,1).
Im heutigen Abschnitt des Johannesevangeliums wird ein Bild aus dem Landleben aufgegriffen, das die meisten der Zuhörer bestens kannten. Diese Sprache ist für viele Menschen heute, vor allem, wenn sie in großen Städten leben, nicht mehr so vertraut. Doch alle verstehen, dass es sich um symbolische Bilder handelt, welche die innige Einheit zwischen Jesus und jedem Christen anzeigen, der dazu gerufen wird, eine Rebe am großen Weinstock des auferstandenen Herrn zu werden. Dank seines Sieges über den Tod und mit seinem verwandelten Leib ist Er imstande, das zu verwirklichen, was das Bild sagen will: uns alle als Reben an einem einzigen Rebstock zu sammeln und auf diese Weise die Lebenskraft zu erhalten, die für unser persönliches und das soziales Leben unverzichtbar ist.
Der Abschnitt beginnt und endet mit dem Bezug auf Gott, den Vater. Der Herr Jesus präsentiert sich als Weinstock, während sein Vater der Winzer ist. Und Jesus zeigt die Rolle seines und unseres Vaters an: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,2). Diese Betrachtungen sind für unser christliches Leben bedeutsam. Während wir gut verstehen, dass die vertrockneten Reben abgeschnitten, gesammelt und verbrannt werden müssen (vgl. Joh 15,6), ist der zweite Teil des Satz schwerer zu akzeptieren: „jede Rebe, die Frucht bringt, (reinigt) beschneidet er, damit sie mehr Frucht bringt“. Das Beschneiden der grünen, fruchtbaren Triebe, das sind die Prüfungen, denen wir uns während des Lebens stellen müssen. Sie dienen der Stärkung unseres Glaubens, sie festigen unsere Hoffnung und entflammen die Liebe aufs Neue. Zu den gewöhnlichen Prüfungen, welche die menschliche Existenz begleiten, kommen jene durch die Covid19-Pandemie hinzu, angefangen beim Mindestabstand zur Prävention, bis hin zu den Tests und zur Impfung. Dem ärztlichen Personal und den Pflegekräften begegnen noch weit schwierigere Prüfungen. Wir wollen diesen Menschen helfen, indem wir ihnen in Gedanken nahe sind, sie moralisch unterstützen und vor allem dadurch, dass wir für sie beten.
Der Herr Jesus zeigt auch die Bestimmung des mit Ihm als wahrem Weinstock verbundenen christlichen Lebens auf: „Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet“ (Joh 15,8). Somit bedeutet die Einheit zwischen dem christlichen Jünger und Jesus, dem Meister, nicht nur eine Übereinstimmung mit dem Heilsplan Gottvaters, sondern hierin findet sich vor allem das Motiv seiner Verherrlichung.
2. „Ihr seid die Reben“ (Joh 15,5).
Gottvater wird also von den mit Jesus Christus, dem wahren Weinstock, innig verbundenen Christen verherrlicht. Aus den Worten des auferstandenen Herrn ergibt sich, dass der Vater sich über die Frucht freut, die wir allein in Einheit mit Jesus hervorzubringen vermögen. „Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt“ (Joh 15,4). Der Herr versichert seinen Willen zur innigen Einheit mit uns und ermahnt uns alle: „Bleibt in mir und ich bleibe in euch“ (Joh 15,4). Er will uns davon überzeugen, dass wir ohne diese Einheit mit ihm keine Früchte für das ewige Leben bringen können. Und so sagt der Herr: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5).
Liebe Brüder und Schwester, das ist auch eine unserer täglichen Erfahrungen: ohne den auferstandenen Jesus, der in unserem Leben, in der Kirche und der Welt gegenwärtig ist, können wir nichts Gutes tun und kein Werk vollbringen, das Heil verdient. Mit Ihm hingegen können wir alles tun, weil Jesus Sünde und Tod besiegt hat und allen die Möglichkeit gibt, ihm auf dem gleichen Weg zum Sieg zu folgen, der auf dieser Erde beginnt, damit wir des Lebens Fülle im Himmel und im ewigen Leben erreichen.
Die Lebenskraft, die der Weinstock uns Reben gibt, ist in besonderer Weise das Wort Gottes. Dabei sind nicht nur die Worte Jesu Christi gemeint, die er während seines öffentlichen Lebens geäußert hat oder das Wort Gottes im Alten Testament, sondern umfaßt die Person Jesu Christi selbst, das fleischgewordene Wort (vgl. Joh 1,14). In Ihm finden alle Worte der Bibel ihr Fundament und ihren Höhepunkt. Durch Ihn, das Wort des Lebens, sind wir alle, die wir seine Reben sind, schon gereinigt: „Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe“ (Joh 15,3). Die Einheit mit dem Herrn Jesus und die Kraft seines Wortes reinigen uns und geben uns die Gewissheit, dass Gott unsere Gebete erhört: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten“ (Joh 15,7). So wird klar, dass jemand, der mit dem auferstandenen Herrn vereint ist, allein Gutes erbitten kann, was zur Verherrlichung von Gottvater in der Gnade des Heiligen Geistes beiträgt, auch wenn es flehende oder fürbittende Gebete sind.
3. Die Früchte der Einheit mit Jesus
Das Wort Gottes, das wir gehört haben, zeigt uns die wichtigen Früchte der Einheit des Christen mit dem Herrn Jesus: die Liebe und das Zeugnis.
Bezüglich der Liebe ermahnt uns der Heilige Johannes: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“ (1 Joh 3,18). Er erinnert uns sodann an das große Gebot: „Und das ist sein Gebot: Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben gemäß dem Gebot, das er uns gegeben hat“ (1 Joh 3,23). Eine überzeugende Predigt in unserer Zeit, die voll von Worten ist, oft genug leeren Worthülsen, und vielen Versprechungen, nicht selten falschen, ist das Beispiel eines persönlichen, familiären und sozialen christlichen Lebens. Erinnern wir uns des Beispiels der Heiligen „wie Franz von Assisi, Ignatius von Loyola, Johannes von Gott, Kamillus von Lellis, Vinzenz von Paul, Louise de Marillac, Giuseppe B. Cottolengo, Johannes Bosco, Luigi Orione und Theresa von Kalkutta — um nur einige zu nennen — (sie) sind berühmte Vorbilder sozialer Liebestätigkeit für alle Menschen guten Willens. Die Heiligen sind die wahren Lichtträger der Geschichte, weil sie Menschen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe sind“ (Benedikt XVI., Deus caritas est, 40).
Was das Zeugnis angeht, gibt uns der Heilige Paulus ein beredtes Beispiel. Der große Völkerapostel hat viel gepredigt und geschrieben. Sein eindrucksvolles Werk gründet sich auf seiner Bekehrung, der Heilsbegegnung mit dem auferstandenen Jesus auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus. Er empfing die Gnade der Erkenntnis, den auferstandenen Jesus in den Christen zu erkennen, die er verfolgt hat (vgl. Apg 9,1-22). Aus Saulus wurde Paulus, aus dem Verfolger erstand der große Missionar, der voller Eifer die Gute Nachricht bis an die Grenzen der Erde verkündete, auch wenn er dabei große Schwierigkeiten hatte, Herausforderungen bewältigte und Anfeindungen erlitt.
Vertrauen wir unsere Überlegungen der mächtigen Fürsprache der seligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria an, der Königin des Himmels, damit wir die Einladung des auferstanden Jesus annehmen, uns immer enger in der Einheit an Ihn zu binden, welcher der wahre Weinstock ist, damit wir fähig werden, glaubhafte Zeugen seiner grenzenlose Liebe zu sein. Amen.