Predigt von Nuntius Eterovic mit der Kath. Akademikerseelsorge in Berlin
Katholische Akademie Berlin, 2. September 2018
(Dtn 4,1-2.6-8; Ps Ps 15; Jak 1,17-18.21-22.27; Mk 7,1-8.14-15.21.23)
22. Sonntag im Jahreskreis – LJ B
„Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein“ (Mk 7,15).
Liebe Brüder und Schwestern!
Das Wort Gottes an diesem 22. Sonntag im Jahreskreis lädt uns ein, über das Gesetz Gottes nachzudenken. Es ist ein Geschenk an die Menschen (I), doch man muss es richtig und im authentischen Sinne verstehen (II). Im Licht des Gotteswortes und geführt vom Heiligen Geist wollen wir einige aktuelle Aspekte für unser persönliches und soziales Leben hervorheben (III).
Bevor wir uns der genannten Punkte widmen, die das Wort Gottes nahelegen, möchte ich Euch, verehrte Mitglieder des Kurt-Huber-Kreises als Träger der Kath. Akademikerseelsorge in Berlin, herzlich grüßen. Ich danke für die freundliche Einladung, dieser Heiligen Messe vorzustehen und auch danach zu Ihnen sprechen zu können. Besonders danke ich Ihrem Sprecher, Herrn Bernhard Bössenroth, auch für die freundlichen Worte des Willkommens. Sodann gratuliere ich zu Eurer Ausdauer, denn seit 58 Jahren gibt es diesen verdienstvollen Kreis, entstanden 1960 in der damaligen DDR. Seither ist viel Zeit vergangen und gab es einschneidende Ereignisse. So ist der Kommunismus gefallen, Deutschland wurde wieder eins, und Sie haben auch in der veränderten Situation das Charisma der Akademikerseelsorge weitergeführt, um den Akademikern, auch den jungen, einen Platz zu geben, wo sie sich begegnen und außerhalb der Arbeitswelt und der staatlichen Einrichtungen geistig austauschen können.
Liebe Brüder und Schwestern, als Vertreter des Heiligen Vaters Franziskus in der Bundesrepublik Deutschland übermittele ich Euch dessen herzliche Grüße. Er versichert Euch seine Nähe und sein Gebet. Auch wir wollen für den Heiligen Vater beten, besonders in dieser Eucharistiefeier. Als Zeichen unserer geistlichen Einheit mit dem Bischof von Rom und Hirten der Universalkirche erteile ich Euch am Ende der Heiligen Messe im Namen von Papst Franziskus den Apostolischen Segen.
1. Das Gesetz ist ein Geschenk Gottes an die Menschen.
In der ersten Lesung haben wir gehört, wie Mose den Juden verkündet, daß durch ihn der Gott ihrer Väter an sie seine Gesetze und Rechtsvorschriften gibt. Das Volk soll ihnen gehorchen und sie beachten, um ein zweifaches Ziel zu erlangen: um zu leben und in das gelobte Land eintreten zu können (Dtn 4,6). Mit der Befolgung der Gebote des Herrn verknüpfen sich sowohl Weisheit, als auch Bildung. Unter der Eingebung des Heiligen Geistes unterstreicht Moses die Bedeutung von Gottes Gesetz: „Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung“ (Dtn 4,6). Zur Weisheit und Bildung tritt die Gerechtigkeit hinzu. Diese drei Charakteristiken können den anderen Völkern nicht verborgen bleiben, die sich über die empfangenen Gaben wundern und sagen: „Diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk“ (Dtn 4,6). Sie müssen aber erkennen, daß diese Gaben vom einzigen und wahren Gott kommen: „Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie der HERR, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen?“ (Dtn 4,7). JHWH ist der Urgrund der Gebote, die zu Weisheit, Bildung und Gerechtigkeit führen.
Der Mensch muss Gott dankbar für das Geschenk des Gesetzes, der Gebote sein. Sie geben seinem Leben die Richtung zur Fülle des Lebens und führen ihn zum wahren Glück. Daher setzt er alles daran, sie in die Praxis umzusetzen. Auf diese Weise zeigt er seine Dankbarkeit gegenüber Gott, der das Wohl des ganzen Volkes will.
2. Der wahre Sinn des Gesetzes.
Im heutigen Evangelium gerät Jesus in eine polemische Auseinandersetzung mit einigen Pharisäern und Schriftgelehrten über die Beachtung der Gesetze. Im Laufe der Heilsgeschichte wurden über die grundlegenden Gesetze hinaus viele andere Bestimmungen und Rituale hinzugefügt, welche die religiöse Praxis der Juden komplizierten: ein frommer Jude muss 613 Gesetzesbestimmungen beachten. Eine davon betrifft das Waschen der Hände vor dem Essen, wie wir im Evangelium gehört haben. Offensichtlich konnte Jesus Christus diesen religiösen Formalismus nicht akzeptieren, auch wenn er gekommen ist, das Gesetz und die Propheten zu erfüllen und nicht, sie aufzuheben (vgl. Mt 5,17). Mit den Worten des Propheten Jesaja schimpft er mit seinen Widersachern, indem er sie Heuchler nennt: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Vergeblich verehren sie mich; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen“ (Mk 7,6-7). Es gab die ernste Gefahr, daß man unter Berufung auf ein weniger wichtiges Gesetz, wie zum Beispiel die Gabe von Weihegeschenken, ein göttliches Gebot wie das des Respekts und der Hilfe für die eigenen Eltern vernachlässigen durfte (vgl. Mk 7,10-11); auf diese Weise legte man das Gewicht auf die Tradition der Menschen zu Lasten des Gebotes Gottes (vgl. Mk 7,13).
Jesus Christus kehrt zurück zur Ordnung und gibt den wahren Geboten ihre zentrale Bedeutung zurück, denn diese hat JHWH dem Volk durch Mose anvertraut. Daneben betont er das Herz des Menschen als Quelle moralischen Handeln, nicht äußere Riten. Sein Wort ist kraftvoll und klar: „Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft“ (Mk 7,21-22). Die Liste der Sünden, die vom Herrn Jesus aufgestellt wird, erinnert uns an die zehn Worte, das heißt den Dekalog, die zehn Gebote.
3. Die Aktualität der Gebote.
Das Wort Gottes ruft uns die wichtige Bedeutung der Gebote für das Leben der Menschen in Erinnerung. Wie das Beachten einer Ampel im Straßenverkehr unverzichtbar ist, so wichtig ist es im persönlichen und gemeinschaftlichen Leben, die Gebote zu halten. Das ist besonders in einer modernen Gesellschaft zu betonen, wo die Rechte der Individuen stark betont werden, aber deren Pflichten vergessen oder unterbewertet sind. Diesbezüglich bleibt die vom Herrn bekräftigte goldene Regel immer aktuell: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten“ (Mt 7,12). Alle Menschen jeder Kultur und zu allen Zeiten können diesen Grundsatz in die Tat umsetzen, der in ihre Herzen eingeschrieben ist, und so das Gebot Gottes erfüllen. Die Norm gilt auch für jene, die ausdrücklich nicht an Gott glauben. Auch sie sind zum Guten gerufen und zur Vermeidung des Bösen für sich und die anderen.
Für die Gläubigen, besonders die Juden und Christen, hat Jesus den Inhalt der Gebote weiter ausgeführt. Auf die Frage eines Schriftgelehrten: „Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“ antwortet Jesus: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,36-40). Die vielen Gesetze, die in Israel gelten, werden auf diese Weise auf ein einziges Gesetz reduziert: das Gesetz der Liebe zu Gott und zum Nächsten.
Wir können noch einen Fortschritt in der Kenntnis der Gesetze ausmachen. Für uns Christen ist die Basis unseres Lebens nicht eine gesetzliche Vorschrift, sondern die Person Jesu Christi. Hierzu schreibt Papst em. Benedikt XVI.: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“ (Enzyklika Deus caritas est, 1). In seiner Person sind alle Gebote enthalten und werden von ihm zur Vollendung geführt, weil er uns geliebt hat bis zum Ende (vgl. Joh 13,1). Er schenkt uns den Heiligen Geist in Fülle (vgl. Joh 3,34), damit wir die Bedeutung der Gebote erfassen, ihren moralischen Wert in unseren Herzen bewerten und sie in die Tat umsetzen können.
Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir unsere demütige Bitte der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche und Sitz der Weisheit, damit der dreieine Gott uns von einer bloß äußerlichen Beachtung der Gesetze befreie. Wir erbitten die Gabe des Glaubens, auf daß wir die Bedeutung der Gebote auf positive Weise begreifen und den Sinn der Worte des Herrn erfassen: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein“ (Mk 7,15). Amen.