Grußwort von Nuntius Eterovic zur Eröffnung der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz

Mainz, 2. März 2020

„Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung“ (Mk 16,15).

Eminenzen, Exzellenzen, liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!

Die Worte aus dem Markusevangelium, mit denen der Herr Jesus seine Jünger vor seiner Himmelfahrt zur Mission ausgesandt hat, finden sich auch im vierten Kapitel des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens Querida Amazonia vom 02. Februar 2020 (QA 64). In diesem Kapitel beschreibt der Heilige Vater Franziskus eine kirchliche Vision für die Gegenwart und Zukunft der Evangelisierung des Amazonasgebietes, „eine länderübergreifende, zusammenhängende Region, ein großes Biom, an dem neun Länder teilhaben: Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Suriname, Venezuela und Französisch-Guayana“ (QA 5). Es handelt sich um ein Dokument, das sich zuallererst an die Kirche der Länder im Amazonasbecken richtet. Aber es ist auch universal ausgerichtet, wie der Bischof von Rom schreibt, und wendet sich daher aus zwei Gründen an die ganze Welt: Erstens, „um zu helfen, die Liebe zu diesem Land und die Sorge darum zu wecken, weil es auch ‚unser‘ Land ist, und um einzuladen, es gleichsam als ein heiliges Geheimnis zu bestaunen und zu erkennen“ und zweitens, „weil die Aufmerksamkeit der Kirche gegenüber den Fragestellungen dieses Ortes uns verpflichtet, einige Themen kurz aufzugreifen, die nicht vergessen werden dürfen und die auch anderen Regionen der Erde im Hinblick auf ihre eigenen Herausforderungen als Anregung dienen können“ (QA 5). Eines der zentralen Themen ist die Aktualität und Dringlichkeit der Evangelisierung.

Amazonien und Deutschland

Das ist der Grund, weshalb das Thema der Evangelisierung erneut Aufmerksamkeit verlangt. Es steht im Zusammenhang mit dem „synodalen Weg“ innerhalb der Katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Zweimal zitiert der Heilige Vater Franziskus in Querida Amazonia sein Schreiben an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland vom 29. Juni 2019, beide Male im vierten Kapitel in Nummer 66, wo es um die Inkulturation geht. Inkulturation geschieht nach dem Papst, indem die Kirche „nichts von dem Guten, das in den Kulturen Amazoniens bereits existiert, außer Acht lässt, sondern es aufnimmt und im Lichte des Evangeliums zur Vollendung führt. Sie verachtet auch nicht den Reichtum der über die Jahrhunderte überlieferten christlichen Weisheit, so als ob sie sich einbildete, die Geschichte, in der Gott auf vielfältige Weise gewirkt hat, ignorieren zu können, denn die Kirche hat ein vielgestaltiges Gesicht »nicht nur aus einer räumlichen Perspektive [...], sondern auch aus ihrer zeitlichen Wirklichkeit heraus«. Dies ist die authentische Tradition der Kirche, die keine statische Ablagerung oder ein Museumsstück ist, sondern die Wurzel eines wachsenden Baumes. Die Jahrtausende alte Tradition bezeugt das Wirken Gottes in seinem Volk und hat die Aufgabe, »das Feuer am Leben zu erhalten, statt lediglich die Asche zu bewahren“ (QA 66).

Der Heilige Vater sieht hier offensichtlich eine Parallele zwischen Amazonien und Deutschland, so daß es angebracht scheint, die Bedeutung seiner kirchlichen Vision zu bekräftigen, die mit den Worten überschrieben wird: Unverzichtbare Verkündigung in Amazonien. Hierbei unterstreicht der Römische Pontifex die fundamentale Bedeutung der Evangelisierung im gegenwärtigen Wirken der Kirche. Berücksichtigt man, daß die allgemeinen Regeln für die ganze Kirche gelten, könnte man statt Amazonien auch Deutschland nennen und auf diese Weise die Aktualität der Lehre des Bischofs von Rom auch für die Situation der pilgernden Kirche in Deutschland erschließen.

Der Vorrang der Evangelisierung

Im Anschluss an die Analyse der vielfältigen Nöte und Ängste der Menschen im Amazonasgebiet schreibt der Heilige Vater Franziskus: „Als Christen verzichten wir nicht auf die Option des Glaubens, die wir aus dem Evangelium empfangen haben. Obwohl wir uns gemeinsam mit allen engagieren wollen, schämen wir uns nicht für Jesus Christus. Für diejenigen, die ihm begegnet sind, die in seiner Freundschaft leben und sich mit seiner Botschaft identifizieren, ist es unumgänglich, von ihm zu sprechen und andere auf seine Einladung zu einem neuen Leben aufmerksam zu machen: »Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1 Kor 9,16)“ (QA 62).

Der Prozess der Evangelisierung schließt soziale Förderung, die Option für die Ärmsten und das Eintreten für deren Rechte mit ein. Das allein aber ist nicht ausreichend. Es ist außerdem geboten, „sie zur Freundschaft mit dem Herrn einzuladen, der ihnen weiterhilft und Würde verleiht. Es wäre traurig, wenn sie von uns nur eine Sammlung von Lehrsätzen oder Moralvorschriften erhielten, aber nicht die große Heilsbotschaft, jenen missionarischen Ruf, der zu Herzen geht und allem einen Sinn verleiht. Wir können uns auch nicht mit einer sozialen Botschaft zufriedengeben. Wenn wir uns mit unserem Leben für sie einsetzen, für die Gerechtigkeit und die Würde, die sie verdienen, können wir nicht vor ihnen verbergen, dass wir dies tun, weil wir in ihnen Christus erkennen und weil uns bewusstgeworden ist, welch große Würde Gott, der Vater, der sie unendlich liebt, ihnen verleiht“ (QA 63).

Die Evangelisierung ist nicht nur eine Pflicht der Kirche und seiner Vertreter gemäß dem Auftrag des auferstandenen Herrn, sondern auch ein Recht der Menschen, die Jesus Christus und sein Evangelium noch nicht oder nicht ausreichend kennen. Die Armen „haben ein Recht auf die Verkündigung des Evangeliums, besonders auf jene grundlegende Verkündigung, die als Kerygma bezeichnet wird und die »die hauptsächliche Verkündigung [ist], die man immer wieder auf verschiedene Weisen neu hören muss und die man in der einen oder anderen Form [...] immer wieder verkünden muss«. Es ist die Verkündigung eines Gottes, der jeden Menschen unendlich liebt und der uns diese Liebe vollkommen in Christus geoffenbart hat, der für uns gekreuzigt wurde und als der Auferstandene in unserem Leben gegenwärtig ist. … Diese Botschaft muss in Amazonien beständig und auf vielfältige Weise zu hören sein. Ohne diese leidenschaftliche Verkündigung würde jede kirchliche Struktur nur zu einer weiteren NGO werden, und wir würden damit auch nicht der Weisung Jesu Christi entsprechen, die da lautet: »Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!« (Mk 16,15)“ (QA 64).

Der Verkündigung des Evangeliums folgen Werke der Nächstenliebe und Caritas und die ganzheitliche Förderung der menschlichen Person. „Jede Initiative zur Vertiefung christlichen Lebens muss diese Verkündigung als ständigen Bezugspunkt haben, denn »die ganze christliche Bildung ist in erster Linie Vertiefung des Kerygmas, das immer mehr und besser assimiliert wird«. Die grundlegende Antwort auf diese Verkündigung – sofern es zu einer persönlichen Begegnung mit dem Herrn kam – ist die brüderliche Liebe, jenes »neue Gebot [...], das das erste und größte ist und das uns am meisten als Jünger erkennbar macht«. So bilden das Kerygma und die brüderliche Liebe die große Synthese aller Inhalte des Evangeliums, die man Amazonien nicht vorenthalten kann. Die großen Glaubenszeugen Lateinamerikas wie der heilige Turibio von Mongrovejo oder der heilige Josef von Anchieta haben dies vorgelebt“ (QA 65).

Auf diesem Fundament der Evangelisierung gründet sodann die erwünschte soziale, geistliche und liturgische Inkulturation in Amazonien. Hier führt Papst Franziskus aus: „Die Kirche ist gerufen, mit den Völkern Amazoniens unterwegs zu sein. In Lateinamerika fand dieser gemeinsame Weg seinen besonderen Ausdruck in der Bischofsversammlung in Medellín (1968) und in ihrer Übertragung auf das Amazonasgebiet in Santarém (1972), dann in Puebla (1979), Santo Domingo (1992) und Aparecida (2007). Der Weg geht weiter, und die missionarischen Bemühungen müssen in einer Kultur der Begegnung zu einer »vielgestaltigen Harmonie« wachsen, wenn sie zu einer Kirche mit einem amazonischen Gesicht führen sollen. Damit aber diese Inkarnation der Kirche und des Evangeliums möglich wird, muss die große missionarische Verkündigung immer wieder neu erklingen“ (QA 61).

Schlussbemerkungen

Die Reflexionen von Papst Franziskus rufen uns auch die Botschaft des bereits erwähnten Briefes an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland in Erinnerung. Folgende Worte des Bischofs von Rom kommen mir dabei besonders in den Sinn: „Pastorale Bekehrung ruft uns in Erinnerung, dass die Evangelisierung unser Leitkriterium schlechthin sein muss, unter dem wir alle Schritte erkennen können, die wir als kirchliche Gemeinschaft in Gang zu setzen gerufen sind; Evangelisieren bildet die eigentliche und wesentliche Sendung der Kirche“ (Nr. 6). Sowohl in Amazonien als auch in Deutschland ist wichtig, „den Primat der Evangelisierung zurückzugewinnen, um die Zukunft mit Vertrauen und Hoffnung in den Blick zu nehmen, denn: Die Kirche, Trägerin der Evangelisierung, beginnt damit, sich selbst nach dem Evangelium auszurichten. Als Gemeinschaft von Gläubigen, als Gemeinschaft gelebter und gepredigter Hoffnung, als Gemeinschaft brüderlicher Liebe muss die Kirche unablässig selbst vernehmen, was sie glauben muss, welches die Gründe ihrer Hoffnung sind und was das neue Gebot der Liebe ist“ (Nr. 7).

Ich schließe meine Einlassung mit der Einladung zur christlichen Hoffnung, die ihr unerschütterliches Fundament im Geheimnis des dreieinen Gottes hat und alle Glieder der Katholischen Kirche zur großen Gemeinschaft und Familie zusammenführt. Dies tue ich mit den Worten des Heiligen Vaters Franziskus: „Wir Christen sind alle eins im Glauben an Gott, den Vater, der uns das Leben schenkt und uns so sehr liebt. Uns verbindet der Glaube an Jesus Christus, den einzigen Erlöser, der uns mit seinem heiligen Blut und seiner glorreichen Auferstehung befreit hat. Uns eint die Sehnsucht nach seinem Wort, das unsere Schritte leitet. Uns eint das Feuer des Geistes, das uns zur Mission antreibt. Uns verbindet das neue Gebot, das Jesus uns hinterlassen hat, die Suche nach einer Zivilisation der Liebe, die Leidenschaft für das Reich, das mit ihm zu errichten der Herr uns ruft. Uns eint der Kampf für Frieden und Gerechtigkeit. Uns eint die Überzeugung, dass nicht alles mit diesem Leben einmal endet, sondern dass wir zum himmlischen Festmahl berufen sind, wo Gott alle Tränen trocknen und entgegennehmen wird, was wir für die Leidenden getan haben“ (QA 109).

Es ist unser Auftrag, diese gute Nachricht den Nahen und Fernen zu verkünden und so den Auftrag Jesu Christi zu erfüllen: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung“ (Mk 16,15).
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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