Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Adventssonntag

Apostolische Nuntiatur, 20. Dezember 2020

(2 Sam 7,1-5.8-12.14-16; Ps 89; Rom 16,25-27; Lk 1,26-38)

„Siehe, ich bin die Magd des Herrn" (Lk 1,38).

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit diesen Worten hat die selige Jungfrau Maria das Heilsprojekt Gottes angenommen: sie wird die Mutter Jesu, des seit Jahrhunderten erwarteten Messias. Im Bericht des Lukasevangeliums wird Jesus als Sohn Davids (I) und als Sohn Gottes präsentiert (II). Angesichts des wunderbaren Vorhabens der göttlichen Vorsehung, an dem sie aktiv teilnimmt, bleibt Maria demütig und bereit, den Willen Gottvaters zu erfüllen (III).

1. „Sohn Davids" (vgl. Lk 1,32)

In dieser Vorbereitungszeit auf das Weihnachtsfest ist es angebracht, das Warten der Juden auf den Messias und die Antwort Gottes auf diese Erwartungshaltung zu bedenken. Der Messias musste ein Nachkomme des Königs David sein. Dieser Glaube ist in den Worten des von Gott inspirierten Propheten Natan grundgelegt. Zu David, der JHWH einen Tempel bauen wollte, spricht der von Gott instruierte Prophet in ablehnender Weise und macht zugleich eine große Prophezeiung: „Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern legst, werde ich deinen leiblichen Sohn als deinen Nachfolger einsetzen und seinem Königtum Bestand verleihen. ... Ich werde für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein. Wenn er sich verfehlt, werde ich ihn nach Menschenart mit Ruten und mit Schlägen züchtigen. ... Dein Haus und dein Königtum werden vor dir auf ewig bestehen bleiben; dein Thron wird auf ewig Bestand haben" (2 Sam 7,12.14.16). Auf dieser Verheißung gründet sich die messianische Erwartung, welche die Geschichte Israels geprägt hat. Dieses Warten wird mit der Geburt Jesu Christi durch seinen Ziehvater Josef erfüllt. Denn die Jungfrau Maria „war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte" (Lk 1,27). Nach der Ankündigung des Engels Gabriel wird Gott Jesus „den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben" (Lk 1,32-33). Auch die Genealogien der Evangelien nach Matthäus und Lukas bezeugen das. Nach dem Heiligen Matthäus war Josef das letzte Glied einer langen Geschlechterkette: „Jakob zeugte den Josef, den Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus genannt wird" (Mt 1,16). Beim Heiligen Lukas hingegen wird Josef als erstes in einer langen Genealogie genannt: „Jesus war, als er zum ersten Mal öffentlich auftrat, etwa dreißig Jahre alt. Er galt als Sohn Josefs. Die Vorfahren Josefs waren: Eli" (Lk 3,23). Die davidische Herkunft Jesu bezeugt seine menschliche Natur, seine Zugehörigkeit zum erwählten Volk, dem Bundesvolk Gottes.

2. „Sohn Gottes" (Lk 1,35)

Der erste Titel des „Sohn Davids" korrespondiert in gewisser Weise mit der Erwartung der Juden, auch wenn die Verwirklichung in der Person Jesu für viele eine Überraschung war. Der zweite Titel, den wir im Abschnitt des Lukasevangeliums lesen, „Sohn Gottes", eröffnet eine andere Dimension, mit der niemand gerechnet hat. Der Messias war eben nicht allein ein Nachkomme Davids, sondern Gott selbst wird sein Vater sein. Das sagt der Engel Gabriel zur Jungfrau Maria, die über den unerwarteten Gruß des göttlichen Boten erschrak. „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir" (Lk 1,28) und weiterhin, als sie von dem großen Vorhaben hört: „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden" (Lk 1,31-32). Auf die Frage von Maria: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?" (Lk 1,34) führt der Engel Gabriel noch genauer das Vorhaben aus. Er erklärt ihr nicht nur die Empfängnis Jesu, sondern diese geschieht aufgrund göttlichen Handelns: „Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten", und noch genauer führt er aus: „Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden" (Lk 1,35). Es handelt sich um ein beispielloses Vorhaben, das die menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Das zeigt, daß die Verheißungen Gottes, die er einst durch den Propheten Natan an David gemacht hatte, sich auf eine Weise verwirklichen, welche die Erwartungen von Menschen übersteigt, jedoch der Güte und Barmherzigkeit unseres Vaters im Himmel entsprechen. Als die Zeit erfüllt war, hat Er uns das Geheimnis offenbart, „das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war" (Rom 16,25). Die Erfüllung dieses Geheimnisses feiern wir voll Freude in der Heiligen Nacht.

3. „Siehe, ich bin die Magd des Herrn" (Lk 1,38)

In der Erzählung des Lukasevangeliums spricht Maria wenig. Sie überlässt dies dem Engel Gabriel. Dieser bemerkt den Schrecken über seinen Gruß, mit dem er sie „voll der Gnade" nannte (Lk 1,28) und erklärt ihr das göttliche Vorhaben von der Geburt Jesu. Auch auf die Frage von Maria, wie das geschehen soll, weil sie keinen ehelichen Verkehr habe, was der Ausdruck „keinen Mann erkennen" meint, erklärt der Engel noch genauer das von Gott in der Fülle der Zeit gewollte Heilsprojekt.

Die Reaktion Mariens ist exemplarisch, und man kann sie mit zwei Worten beschreiben: Demut und Gehorsam. Angesichts des großartigen Vorhabens, die Mutter Jesu zu werden, Davids und Gottes Sohn, bleibt Maria demütig. Das ergibt sich aus der durch den Engel Gabriel an Gott gerichtete Antwort: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Lk 1,38). Maria stimmt zu, am göttlichen Vorhaben mitzuwirken, auch wenn sie dessen tiefe Bedeutung nicht verstanden haben dürfte. Doch ihr starker Glaube ist geprägt von großem Gottvertrauen. Aus der Glaubenserfahrung weiß Maria, daß Gott die demütigen Menschen schätzt. Sie selbst preist Gott im Magnifikat, „denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut" (Lk 1,48); und „er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen" (Lk 1,52). In ihren Worten „ich bin die Magd des Herrn" können wir auch deren tiefe Einheit mit ihrem Sohn Jesus erblicken, den Gottesknecht, der durch Kreuz und Tod der Welt das Heil bringen wird.

Liebe Brüder und Schwestern, in dieser Adventszeit, wo das Weihnachtsfest schon nahe ist, soll die Figur Mariens in uns nicht nur Dankbarkeit für ihre zustimmende Antwort auf das göttliche Vorhaben zum Heil des Menschengeschlechtes bewirken. Mit Blick auf die Jungfrau von Nazareth müssen wir auch das Staunen über ihr beispielhaftes Zeugnis und ihre bedingungslose Annahme des Willens Gottes erneuern. Das sollte jeden von uns beflügeln, demütiger in der Erfüllung der Berufung zu werden, die Gott uns anvertraut hat. Im Kampf gegen den Hochmut und für die Demut des Christen ist die Frage des Heiligen Paulus höchst aktuell: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?" (1 Kor 4,7). Statt sich unserer angeblichen Verdienste zu rühmen, preisen wir den dreieinen Gott für die Gaben, die wir von ihm empfangen haben und suchen danach, seinem heiligen Willen gehorsam zu sein. Dieser führt uns zuweilen auf Wege, die wir nicht geahnt haben und die uns allzu anstrengend scheinen. Mit der Haltung Mariens aber nehmen wir demütig und gehorsam die göttliche Gnade an, um in dieser Welt den Willen Gottes besser erfüllen zu können. Er ist im Begriff in der Person Jesu, dem Sohn Davids und Sohn Gottes, zu kommen und für immer bei uns zu bleiben, denn sein Name ist Immanuel, was bedeutet: „Gott mit uns" (Mt 1,23). Amen.

 

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