Schreiben des Herrn Bundespräsidenten an den Apostolischen Nuntius

Berlin, 11. Januar 2021

Schreiben des Herrn Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier
an den Apostolischen Nuntius
und Doyen des Diplomatischen Corps
Erzbischof Dr. Nikola Eterović
als Antwort auf die Neujahrsgrüße des Diplomatischen Corps

Berlin, den 11. Januar 2021

Exzellenz,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre besten Wünsche zum Neuen Jahr! Über Ihre Zeilen, die Sie mir auch im Namen Ihrer Kolleginnen und Kollegen und der Vertreterinnen und Vertretern der internationalen Organisationen mit Sitz in Deutschland geschickt haben, habe ich mich sehr gefreut.

Exzellenz, wie gern hätte ich Ihre Neujahrsgrüße in meinem Amtssitz entgegengenommen, beim Defilee jedem Mitglied des Diplomatischen Corps von Angesicht zu Angesicht meine guten Wünsche übermittelt. Der Neujahrsempfang steht für eine besondere Stimmung, ein heiteres Miteinander, mit vielen Gesprächen in den großen und kleinen Räumen von Schloss Bellevue und einem Stimmengeraune in großer Sprachenvielfalt, das ich sehr vermisse. Meine Antwort auf Ihren Brief kann dies gewiss nicht ersetzen. Dennoch ist es mir ein Anliegen, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen herzlich zu grüßen.

Ein jeder, eine jede von uns wünscht sich ein besseres neues Jahr, als es das vergangene war. Die Pandemie trifft jeden einzelnen von uns sowie jedes Land. Die Sorge vor Ansteckung, vor dem Verlust geliebter Menschen sowie vor den langwierigen Folgen teilen wir miteinander.

Gemeinsam wollen wir dieser Herausforderung begegnen. Die internationale Wissenschaftskooperation bei der Impfstoffentwicklung war beispielhaft. Dies soll uns Ansporn sein, unsere internationale Kooperation und unseren Gemeinsinn auch bei der Impfstoffverteilung und auf anderen Feldern weiter auszubauen. Die Auswirkungen der Pandemie werden auch künftig gemeinsame Antworten auf große Fragen wie die gerechte Verteilung von Ressourcen und Einkommen sowie den Kampf gegen den Klimawandel erfordern. Dabei reicht es nicht, auf die Unterstützung oder die Aktion eines einzelnen Landes zu warten. Sondern wir alle, ob ein Staat in Europa, in Afrika, in Asien, im Pazifik oder in Amerika, sollten über unsere nationalen Grenzen hinaus gemeinsam gute Lösungen zum Wohle aller Menschen finden. Wie können wir besser miteinander arbeiten? Wo können wir voneinander lernen? Wir wollen uns wappnen gegen zukünftige Schrecken aller Art, seien es Naturkatastrophen oder Seuchen, und sie besser und schneller bekämpfen.

In Deutschland werden die Weihnachtszeit und die Tage zwischen den Jahren als besinnliche Zeit bezeichnet, die uns zu Ruhe und zum Nachdenken einlädt. Ich habe mir über den Jahreswechsel vorgestellt, dass so, wie das alte Jahr uns einen großen Schrecken bereitete, das neue Jahr vielleicht Überraschungen im positiven Sinne bereithält. Neue Lösungen für alte Konflikte? Ein neuer Schwung für Deutschlands internationale Beziehungen, bilaterale und multilaterale, ist mir ein großer Herzenswunsch. Ich versichere Ihnen: Deutschland will Ihnen und Ihren Ländern als kompetenter und vertrauensvoller Partner zur Seite stehen - so wie uns dies als Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und während der Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union ein wichtiges Anliegen war.

Die aktuellen Fragen beeinflussen nicht nur unsere außenpolitischen Beziehungen, sondern auch maßgeblich die Innenpolitiken unserer Staaten. Wie können wir unsere Gesundheitssysteme nachhaltig sichern, soziale Leistungen in Zeiten von wirtschaftlichen Umbrüchen und Transformationen garantieren? In der derzeitigen Lage, und nach der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise im vergangenen Jahrzehnt, hat Deutschland zum Beispiel sehr von stabilisierenden Instrumentenwie von der Kurzarbeit für den Erhalt von Arbeitsplätzen profitiert. Wie können wir in unseren Gesellschaften für Stabilität und Vertrauen sorgen und uns vor übersteigertem Nationalismus, vor Populismus, Hetze und Gewalt schützen? Wie stärken wir das Miteinander und den Zusammenhalt? Wie fördern wir den friedlichen Austausch von Argumenten, von Respekt und Toleranz? Wie nutzen wir die menschliche Neugier und den Erfindergeist für innovative Lösungen, die uns in der Zukunft zu einer besseren, gerechteren Welt verhelfen?

Sie sehen, über all unsere kulturellen und politischen Eigenheiten hinweg gibt es viel zu besprechen und auszutauschen. Am besten geht dies bei persönlichen Gesprächen wie im Rahmen unseres jährlichen Ausflugs in ein deutsches Bundesland. Letztes Jahr musste er pandemiebedingt entfallen. Für dieses Jahr hoffe ich sehr, dass die Lage es erlauben wird, einen interessanten, intensiven Tag zusammen zu verbringen.

Mit meinen besten Wünschen für ein erfolgreiches, friedliches und glückliches neues Jahr verbunden mit der Hoffnung auf ein baldiges persönliches Wiedersehen verbleibe ich

Ihr

Frank-Walter Steinmeier

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